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Teilweise protestierten tausende Palästinenser im Gazastreifen gegen den andauernden Engpass in der Stromversorgung.

Foto: AP / Khalil Hamra

Gaza/Wien – Die Verbindung bricht ab, immer und immer wieder. "Mein Handyakku ist fast leer", entschuldigt sich Ahmed Tawahina. Ihn aufzuladen, dafür fehlt dort, wo er wohnt, gerade der Strom. Seit Wochen hat die ohnehin schon unter widrigsten Bedingungen lebende Bevölkerung im Gazastreifen unter einer Stromkrise zu leiden. Das ging so weit, dass die Menschen auf den Straßen protestierten und so Zusammenstöße mit der Polizei inklusive zahlreicher Festnahmen auslösten. "Der Frust ist groß", sagt Tawahina dem STANDARD: "Eine neue Intifada ist jederzeit möglich."

Tawahina, vor 56 Jahren im Gazastreifen zur Welt gekommen, behandelt als klinischer Psychologe traumatisierte Menschen. Und davon gibt es dort – durch die drei Kriege mit Israel seit 2008, durch das Regime der Hamas – zahllose, vor allem Kinder. Verschärft wird die Situation nun durch den akuten Strommangel. Gab es für die rund zwei Millionen Einwohner bislang etwa zwölf Stunden Elektrizität am Tag, so waren es die vergangenen Wochen nur noch vier Stunden.

Strom um Mitternacht

"Manchmal ist der Strom um Mitternacht da, wenn ihn keiner braucht", sagt Tawahina. Das mache es schwierig, den Menschen zu helfen: "Die Menschen können im Dunkeln vieles – etwa die Kinder ihre Hausaufgaben – nicht machen. Sie werden unruhig, frustriert, wütend – alle Therapiefortschritte werden dadurch zerstört."

Die Stromversorgung ist neben der prekären Wasser- und Lebensmittelversorgung eine der Hauptsorgen im Gazastreifen. Das einzige eigene Kraftwerk, 2014 während des Gazakriegs massiv beschädigt, produziert täglich derzeit etwa 30 Megawatt, während Israel 120 und Ägypten weitere 30 Megawatt liefern. Insgesamt stehen also 180 Megawatt zur Verfügung – der tägliche Bedarf liegt aber bei 450 bis 500 Megawatt.

Gegenseitige Vorwürfe

Die radikalislamische Hamas und die im Westjordanland bestimmende gemäßigte Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sind seit 2007 tief zerstritten. Diesem wirft die Hamas vor, nicht mehr genügend Treibstoff für das Kraftwerk liefern zu lassen. Auch soll die Fatah zusätzliche Zahlungen an Ägypten und Israel, damit diese mehr Strom liefern, verweigern. Auf der anderen Seite heißt es, dass die Fatah bei den Diesellieferungen immer die Steuern abgezogen habe. Als sie aber erfuhr, dass die Hamas diese Ermäßigung nicht an die Verbraucher weitergebe, hätte sie die Lieferungen reduziert.

So oder so, die Lage spitzt sich zu, vor allem in einem besonders harten Winter, in dem die Temperaturen nachts auf für mediterrane Gebiete unübliche sieben Grad sinken. Die, die es sich leisten können, nutzen private Generatoren, doch auch hier sind die Kosten explodiert. Das hat vor allem für Spitäler verheerende Konsequenzen, wenn für lebensrettende oder lebenserhaltende Geräte einfach die Elektrizität fehlt.

Millionenspende von Katar

Mitte Jänner hat das mit der Hamas befreundete Emirat Katar für leichte Entspannung gesorgt, indem es zwölf Millionen US-Dollar für Treibstoff gespendet hat. "Die Krise ist damit für die nächsten drei Monate gelöst", teilt UN-Nahostgesandter Nikolai Mladenow auf STANDARD-Anfrage mit. Die Uno arbeite daran, langfristig eine bessere Stromversorgung zu ermöglichen, so der Bulgare.

Für Ahmed Tawahina ist die Stromkrise damit keineswegs gelöst. "Durch Katar haben wir jetzt einmal sechs Stunden Elektrizität am Tag, aber das reicht nicht", sagt er. Die Menschen werden weiter protestieren, "gegen alle, die dafür verantwortlich sind: Hamas, Fatah, Ägypten, Israel". Sie fordern, so der Psychologe, dass die Stromversorgung vom politischen Streit getrennt wird: "Nur weil die Hamas so schlechte Beziehungen zu anderen hat, muss die gesamte Bevölkerung dafür bezahlen." (Kim Son Hoang, 31.1.2017)