"Just one more", lautet der göttliche Auftrag für Desmond Doss: Erst dann ist die Existenz des Allmächtigen auf dem Schlachtfeld bewiesen.

Foto: Universum Film

Wien – Bevor er später im Kugelhagel zerfetzte Leiber über das Schlachtfeld zerrt, wird Desmond Doss (Andrew Garfield) mit Fragen bombardiert. "Glaubst du, der Krieg passt sich deinen Idealen an?", bekommt er im Ausbildungslager der Army zu hören, wo ihn seine Vorgesetzten und Kameraden loswerden möchten. "Wieso zur Hölle bist du noch hier?", möchte seine Verlobte von ihm wissen, als er sich weigert, ebendort den Dienst an der Waffe zu versehen, und dafür ins Loch muss.

"War es Gott, der Ihnen befohlen hat, Sie sollen nicht töten?", stellt ihm der Heerespsychologe die vermeintlich listige Gewissensfrage, um sich an dem jungen Mann aus Virginia die Zähne auszubeißen. "Schon mal was von Selektion gehört?", erklärt ihm endlich am Hacksaw Ridge ein Soldat, der einen von Doss verarzteten Körper – oder das, was von diesem übriggeblieben ist – ins Lazarett bringen soll. So viele Fragen in einem Film von Mel Gibson.

"Hacksaw Ridge" – Trailer
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Gespenstisch ruhige Minuten

Seit Apocalypto (2006), diesem Schockerlebnis von Endzeitfilm aus dem amerikanischen Dschungel, hat Gibson zum ersten Mal wieder Regie geführt. Und wäre Hacksaw Ridge als Projekt nicht fast fünfzehn Jahre auf Eis gelegen, hätte er die damalige Kriegsfilmwelle und damit naturalistische Spektakelfilme wie Ridley Scotts Black Hawk Down perfekt ergänzt – allerdings nicht als Fragenkatalog, sondern als handfeste Antwort eines bibelfesten Patrioten. Damals musste sich das Genre allerdings noch mit einem reaktionär standhaften Gibson im nordvietnamesischen Sperrfeuer in We Were Soldiers bescheiden.

Desmond Doss ist 2006 im Alter von 87 Jahren gestorben. Am Ende des Films lässt Gibson in Archivaufnahmen ihn und ein paar seiner Kameraden zu Wort kommen, denen er in der Schlacht von Okinawa am sogenannten Hacksaw Ridge das Leben rettete. Alle Geretteten wären sich nicht ausgegangen, denn insgesamt waren es vermutlich 75 Männer, die Doss an diesem Tag und in der darauffolgenden Nacht im April 1945 über eine Steilwand abseilte, nachdem er sie halbtot eingesammelt hatte. Das sind seltsame, fast gespenstisch ruhige Minuten, in denen diese alten Männer, die man gerade noch im Sterben hat liegen sehen, sich erinnern. So als würden sie dem Gewitter aus Stahl und Blut, das Gibson eine Stunde lang auf uns hat regnen lassen, etwas Wahrhaftiges nachsetzen wollen.

Das Leben feiern

Hacksaw Ridge ist ein in mehrfacher Hinsicht gespaltener Film, der wie Kubricks Full Metal Jacket in zwei Teile zerfällt – in ein Davor und in ein Jetzt. Das Davor ist Doss' Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen und unter Vince Vaughn als Drillmeister seinen unschuldigen Blick nicht zu verlieren, alles zu ertragen, um danach andere erlösen zu können. Das Jetzt ist seine Apotheose angesichts größter Unmenschlichkeit. Das Töten sei die schlimmste aller Sünden, ist der von väterlicher Gewalt (beeindruckend: Hugo Weaving) gezeichnete gläubige Pazifist überzeugt und will als Sanitäter "seinem Land dienen", wozu dieser Film auch seine Liebe zu einer Krankenschwester (Teresa Palmer) zählt. Gespalten aber auch, weil er ebendieses Töten zeigen muss, um das Leben feiern zu können – die häusliche und kriegerische Gewalt, um Gewaltverzicht predigen zu können.

In The Passion of the Christ (2004), als Gewaltpornografie gebrandmarkt, noch ehe diese tatsächlich über den Horrorfilm in den Mainstream einsickern konnte, ging es Gibson darum, zu zeigen, was ein Mensch, und sei es Gottes Sohn, ertragen kann außer dem Kreuz. In Hacksaw Ridge sind das dutzende andere Männer, die zuvor die Hölle auf Erden gesehen haben. (Michael Pekler, 28.1.2017)