Jin Angang verkauft an seinem Pekinger Stand nur noch wenige hundert Kalender zum neuen Jahr. Früher waren es 10.000 Stück.

Foto: Johnny Erling

Auf den Kalenderblättern stolziert der Hahn im Farbenmeer zwischen strahlendem Rot und glänzendem Gold unter Zweigen voller Litschifrüchte. Darüber steht: "Da-ji Da-li" (großer Gockel und großer Gewinn). Der gemalte Glückwunsch zum neuen Jahr ist mehrdeutig. Die Schriftzeichen für "ji" und "li" klingen lautähnlich wie die Wörter für Glück und für Litschi. Samstagmitternacht beginnt Chinas 15-tägiges Familienfest zum Neujahr. 2017 ist das Jahr des Hahns aus dem Zyklus der zwölf Tierkreissymbole. Es steht auch im Zeichen des Feuers, eines der fünf traditionellen Elemente. Für kalenderbewusste Chinesen kommt der "Feuerhahn" nur alle 60 Jahre zum Vorschein. Zuletzt krähte er 1957.

Das feurige Federvieh war schon immer ein glücksbringendes Symbol. Schließlich vertrieb der erste Hahnenschrei die Dämonen der Nacht. Rechtzeitig zum Fest erinnerte eine Pekinger Zeitung daran, dass es natürlich Chinesen waren, die in Urzeiten Hahn und Huhn zuerst domestizierten. 1973 wurden bei Nordchinas Stadt Handan vergrabene Tonbehälter entdeckt, in denen Hirse gelagert wurde. Zu den Funden gehörten auch Geflügelknochen von Haushähnen. Archäologen datierten sie über Radiokohlenstoffanalysen auf die neusteinzeitliche Cishan-Kultur zurück, angeblich um 5400 bis 5100 vor Christus.

Aussterbende Zunft

Hähne auf Wandkalendern sind Bestseller im Laden des Jin Angang. "Ich hatte das Motiv in 50 Varianten und habe fast alle davon verkauft", sagt der 71-Jährige. Seit mehr als 30 Jahren führt er sein Geschäft für Neujahrskalender in der Huangchenggen-Straße in der Pekinger City. Viele Käufer kommen von weit her und sind oft so alt wie er. "Ich kenne einige seit mehr als einem Vierteljahrhundert."

Händler Jin ist der Letzte seiner Zunft. Zwar leben die alten Traditionen zum Frühjahrsfest wieder stark auf, zu dem hunderte Millionen Chinesen in der größten Völkerwanderung der Welt "nach Hause" unterwegs sind. Doch die einst so beliebten Neujahrskalender bleiben auf der Strecke. "Sie haben sich überlebt. Die Jungen schauen nur noch auf ihre Handys. Bei ihnen krähen die Hähne online." Besonders angesagt sind Apps großer IT-Kommerzanbieter wie Alibabas Alipay oder Tencent. Von Pokémon inspiriert programmieren sie für die Handysuche virtuelle Verstecke für die traditionellen "roten Umschläge" mit Geldgeschenken oder für die Hähne des Glücks.

Chinesische Führer

In Jins Geschäft gibt es nicht nur die aussterbenden Neujahrskalender, sondern auch Politikkalender mit Porträts chinesischer Führer wie Parteichef Xi Jinping. Der Kauf ist inzwischen als Personenkult unerwünscht. 1978, zwei Jahre nach Maos Tod, eröffnete Jin seinen Laden. "Alle kauften damals Kalender." Sie wurden Vorboten der Reformen, brachten die Hoffnungen für ein besseres Leben bildlich in die guten Stuben.

Kalender mit ausländischen Filmstars waren populär, sogar mit Marilyn Monroe. Andere zeigten die neuen Träume nach Sport- und Luxusautos oder nach Reisen in alle Welt. Chinas alte Kultur wurde entdeckt, seine Traditionen. Dann kamen patriotische Motive ins Bild, wie die Armee, Waffen und Chinas Führer. "Früher setzte ich 10.000 Neujahrskalender ab. Unternehmen bestellten sie als Geschenk für ihre Mitarbeiter. Heute verkaufe ich nur noch wenige hundert Stück."

"Schicksalsjahr"

Jin glaubt nicht an Weissagungen, und doch liegen in seinem Geschäft Hongkonger Horoskopbücher aus. In diesen wird vor unerwarteten Ereignissen im "Schicksaljahr unter dem Feuerhahn" gewarnt. Seine Pekinger Kunden hoffen dagegen auf ein 2017 der Beständigkeit und Verlässlichkeit. Schließlich seien das die Tugenden des Hahns. Er halte seine Hühner zusammen und krähe jeden Morgen. (Johnny Erling aus Peking, 27.1.2017)