Österreich hat nach Deutschland in Europa die größte Einzelhandelsverkaufsfläche pro Kopf mit einer geringen Flächenproduktivität. Das ist ein Problem.

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Wien – Kleine, inhabergeführte Fachgeschäfte sind die großen Verlierer des Online-Shopping-Booms. In Deutschland dürfte der Einzelhandelumsatzanteil des filiallosen Fachhandels von rund einem Drittel im Jahr 2000 auf 12 Prozent 2025 sinken, sagte die Handelsexpertin Beate Hollbach-Grömig vom Deutschen Institut für Urbanistik am Donnerstag in Wien. Ähnliches wird auch für Österreich erwartet.

"Online ist nicht der Auslöser für die Probleme des stationären Handels, sondern ein Verstärker", betonte die Expertin. Der Strukturwandel im Handel sei "ein ganz altes Thema". Themen, die den Einzelhandel seit langem beschäftigen, etwa "Grüne Wiese" und Shoppingcenter, zu viele Handelsflächen und zu wenig Umsatz und Krise der Warenhäuser, gebe es schon lange, sagte die Handelsexpertin bei der vom Österreichischen Städtebund, Stadt Wien und Arbeiterkammer Wien sowie Wirtschaftskammer Wien veranstalteten Tagung "Onlinehandel – Entwicklungen, Auswirkungen, Strategien".

Digitalisierung, Alterung und stagnierende Einkommen

Weitere Treiber der Veränderung im Einzelhandel seien die Digitalisierung, die Alterung der Bevölkerung und stagnierende Realeinkommen, erinnerte die Expertin. "Beim Wachstum der Verkaufsflächen hat sich der stationäre Handel selbst kannibalisiert", so Hollbach-Grömig. Österreich hat nach Deutschland in Europa die größte Einzelhandelsverkaufsfläche pro Kopf und mit einer geringen Flächenproduktivität.

Experten erwarten in den kommenden Jahren durch den sinkenden Anteil der Konsumausgaben an den Gesamtausgaben der Gesamtbevölkerung kaum Wachstumsimpulse für den Einzelhandel in Deutschland sowie Österreich und dadurch auch mehr Wettbewerb zwischen den Händlern. Größeres Wachstum werde es nur im Onlinehandel geben. In Deutschland soll fast jeder zehnte Einzelhändler von der Schließung bedroht sein, insgesamt wären dies 45.000 bis 50.000 Geschäfte.

Attraktivität der Ortskerne

Den Städten und Gemeinden empfiehlt die Handelsexpertin, die Attraktivität der Innenstadt oder des Ortskerns weiter zu steigern und eine bessere Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Parkplätzen sicherzustellen. Die Einzelhändler sollten ihre Auswahl und Warenverfügbarkeit verbessern, ihr Personal als erfolgskritischen Faktor sehen und auch stärker schulen. Auch die Immobilienentwickler sollen nach Ansicht der Expertin mehr in die Weiterentwicklung der Einzelhandelsstruktur einbezogen werden.

"Nicht jedes Zentrum wird überleben. Neben geografischen Gunstfaktoren entscheiden die Intensität und Qualität der lokalen Aktivitäten. Die Dynamik des Handels sollte aber nicht unterschätzt werden", lautet das Resümee der Handelsexpertin. Es passiere bereits viel, und es gebe viele Möglichkeiten zu gestalten.

Die Wiener Wirtschaftsagentur hat eine Studie in Auftrag gegebenen, um die Möglichkeit für eine Onlineplattform für Wiener Händler zu prüfen. Bei einer Befragung habe es "großes Interesse" von Konsumenten gegeben, die Resonanz von Geschäften sei "differenzierter", sagte Christian Bartik von der Wirtschaftsagentur Wien. Vor allem Onlinebestellungen und Vor-Ort-Abholen ("click and collect") seien auf großes Interesse gestoßen. Es würden nun weitere Möglichkeiten ausgelotet und Gespräche mit der Wirtschaftskammer Wien geführt.

Kontaminierung des öffentlichen Raums

Der Planungsdirektor der Stadt Wien, Thomas Madreiter, warnte bei der Tagung vor einer "Kontaminierung des öffentlichen Raums" durch Abholboxen. Es gehe vor allem darum, die Bedingungen für die niedergelassenen Händler zu optimieren. Wichtig sei es, Onlinehandel und stationären Handel nicht als Gegensatz zu begreifen. Der Generalsekretär des Österreichischen Städtebunds, Thomas Weninger, appellierte an die Konsumenten, über die Konsequenzen ihrer Kaufentscheidungen nachzudenken und zu überlegen, welche Auswirkungen sie auf das Stadtleben haben.

Der Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien, Thomas Ritt, zeigte sich über den starken Anstieg des Lieferverkehrs durch den Onlinehandel und über die Arbeitsbedingungen der Zusteller besorgt. Auch müsste zwischen großen Onlinehändlern wie Amazon und österreichischen Händlern Steuergerechtigkeit geschaffen werden.

Für den Spartenobmann Wiener Handel in der Wirtschaftskammer, Rainer Trefelik, müssen sowohl die Stadt Wien als auch die stationären Händler auf den Onlinehandel stärker reagieren. Die Stadt Wien sollte regulatorische Beschränkungen lockern, etwa bei Betriebsanlagengenehmigungen und Öffnungszeiten, Gebühren senken und die Händler in die Raumplanung einbeziehen. Die Händler sollten den direkten Kundenkontakt, die Beratungs- und ihre digitalen Angebote ausbauen. (APA, 26.1.2017)