Vor einem Jahr war es bloß eine schöne Idee: ein Grüner an der Staatsspitze. Nach drei Wahlgängen inklusive Wahlaufhebung und -verschiebung samt grotesker Schlampereien ist es so weit: Alexander Van der Bellen wird am Donnerstag als Bundespräsident angelobt.
Dabei weiß der 73-Jährige eine Mehrheit hinter sich, die alte Muster eindrucksvoll gesprengt hat. Mit 53,8 Prozent der Stimmen konnte der langjährige Parteichef der Grünen Wählerinnen und Wähler ansprechen, die davor nie im Leben ihr Kreuz bei den Grünen gemacht hätten. Bei Van der Bellen, der als "Unabhängiger" kandidierte, taten sie es am 4. Dezember und stoppten den weltweit vermeintlich unaufhaltsamen Aufstieg der Rechtspopulisten, indem sie hierzulande den FPÖ-Konkurrenten Norbert Hofer ausbremsten.
Gelungen ist das mit einer glückhaften Mixtur aus Kandidatenpersönlichkeit und perfekt orchestriertem Wahlkampf. Da war zum einen die effiziente Graswurzelbewegung, die von klassischen Grünmilieus hinauswucherte "aufs Land" und in so manch konservativ-bourgeoisen Salon in der City. Vor allem aber war es "der Professor" für Volkswirtschaftslehre mit dem bürgerlichen Habitus, der den des lokalen Idioms mächtigen "Kaunertaler" aus Kindertagen in sich wiederentdeckte und plötzlich im Trachtenjanker eine neue Leutseligkeit kultivierte, die sich am Wahltag mehr als bezahlt machte.
"Sascha", wie der in Wien geborene Sohn estnisch-russischer Eltern parteiintern genannt wird, mutierte zum Chamäleon. Die Farbwechsel dieser Tiere dienen ja nicht nur der Tarnung, sondern auch der Kommunikation. So machte es auch VdB. Er bot mehrere Varianten von sich an, kam ins Reden, überzeugte und siegte. Ein gelungenes Beispiel für politisches "Framing": die Neuerfindung eines Hofburgkandidaten.
Kanten sind da eher riskant. Wahlkampfzeit ist Faserschmeichlerzeit. Also kontroversielle Themen vermeiden – Stichwort "Willkommenskultur". Nur eines lässt sich der Vater zweier Söhne aus erster Ehe, der seit 2015 mit Doris Schmidauer, der Geschäftsführerin des grünen Parlamentsklubs, verheiratet ist, nicht nehmen: das Rauchen. Wenngleich er darauf nicht im Wahlkampf und erst recht nicht als Präsident mit so viel Verve bestehen würde wie noch vor zehn Jahren, als er sagte, sich "weder dem amerikanischen Puritanismus noch der Lebenshysterie oder dem Gesundheitsfanatismus anzuschließen". Muss er nicht. Ein paar Kanten dürfen sein. (Lisa Nimmervoll, 25.1.2017)