Die finanziell angeschlagene EDF hat eigentlich keine Lust, das hochrentable AKW dichtzumachen.

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Der Verwaltungsrat von Électricité de France (EDF) hat am Dienstag einer Abfindung durch den französischen Staat zugestimmt: Die Regierung muss den Stromkonzern mit 446 Millionen Euro für die allfällige Schließung des Reaktorgespannes in Fessenheim entschädigen. Der Beschluss fiel denkbar knapp aus, und er ist von großer politischer Tragweite.

Erstmals will die Nuklearnation Frankreich zwei ihrer Atomreaktoren abschalten, um eine Energiewende einzuleiten. Staatschef François Hollande hatte bereits 2012 angekündigt, der Atomanteil an der nationalen Stromproduktion solle bis 2015 von 75 auf 50 Prozent sinken. Den Beginn soll die Abschaltung von Fessenheim machen. Dieses 1977 in Betrieb genommene AKW liegt in einer Erdbebenzone und acht Meter unterhalb der Wasseroberfläche des anliegenden Rheinkanals.

Streik am Montag

Der Haken dabei: Hollande gibt im Mai sein Amt auf. Der aktuelle Favorit für seine Nachfolge, der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon, erklärte, er wolle an Fessenheim festhalten. Auch die finanziell angeschlagene EDF hat keine Lust, das hochrentable AKW dichtzumachen.

Ein Großteil der 850 Angestellten streikte am Montag, um für seine Weiterexistenz zu demonstrieren. Sie sind paradoxerweise nicht unglücklich über die EDF-Beschlüsse. "Der Verwaltungsrat regelte nur die Entschädigungsfrage", erklärte Gewerkschafter Pascal Bakchich. "Das eigentliche Gesuch um Stilllegung ließ er offen." Dieses muss die EDF bei einer nächsten Sitzung beschließen – und dafür ist kein Datum festgesetzt. Gelingt es Lévy, den Beschluss über die Präsidentschaftswahlen hinauszuzögern, kann Hollande das endgültige Abschaltungsdekret nicht mehr unterzeichnen.

Wettlauf gegen die Zeit

Gelingt dem Staatschef hingegen die Unterzeichnung, könnte ein zukünftiger Staatschef Fillon den Entscheid nur mehr mit Mühe kippen: Ein neues Genehmigungsverfahren müsste in Gang gesetzt werden, das würde Jahre dauern und Millionen kosten.

Hollande wird auch aus persönlichen Gründen alles daran setzen, den hochsymbolischen und -politischen Fessenheim-Entscheid noch selbst zu fällen. Er weiß, dass seine Amtszeit als weitgehend gescheitert gilt; Fessenheim ist deshalb seine letzte Chance, um wenigstens umweltpolitisch Wort zu halten.

Nach dem Pariser Wochenblatt Le Canard Enchaîné geht der Präsident mit "brutaler Erpressung" gegen EDF vor, um den Widerstand der Fessenheim-Befürworter zu brechen. So verknüpft er damit die Zukunft des neuen, aber umstrittenen EPR-Druckreaktors in Flamanville, an dem EDF noch mehr gelegen ist als am alten Elsässer Werk. Hintertreibt der Konzern die Abschaltung von Fessenheim, verweigert Hollande die Verlängerung der zehnjährigen Baubewilligung für Flamanville – die zufällig im April ausläuft. (Stefan Brändle aus Paris, 24.1.2017)