Heidelberg – Bisher war man der Ansicht, dass der durch humane Papillomviren (HPV) ausgelöste Gebärmutterhalskrebs auf zwei bestimmte Virusproteine angewiesen ist. Fehlen sie, stellen die Krebszellen ihr Wachstum ein. Experten vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben jetzt entdeckt, dass die Zellen unter Sauerstoffmangel die Produktion dieser Virusproteine zwar drosseln, den Mechanismus aber umgehen.

Humane Papillomviren (HPV) gelten als Ursache für etwa fünf Prozent aller Krebserkrankungen weltweit. In erster Linie verursachen sie Gebärmutterhalskrebs, aber auch bösartige Tumoren im Kopf-Halsbereich, an den Geschlechtsorganen und in der Analregion. Forscher konnten schon vor einiger Zeit entschlüsseln, wie die Viren Zellen entarten lassen: Zwei HPV-Proteine, E6 und E7, hebeln in den infizierten Zellen die beiden wichtigsten Krebsbremsen aus und sind so dafür verantwortlich, dass Krebs entsteht.

"E6 und E7 kurbeln das Krebswachstum an, indem sie die 'Seneszenz' verhindern, eine Art der Zellalterung, die mit einem irreversiblen Wachstumsstopp verbunden ist", erklärt Felix Hoppe-Seyler vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Werden E6 und E7 blockiert, so stellen Krebszellen ihr Wachstum ein. "Unser Wissen über die Funktionen von E6 und E7 beruht jedoch größtenteils auf Ergebnissen aus Zellkulturen, wo man mit hoher Sauerstoffsättigung arbeitet. In vielen Krebsgeschwüren gibt es aber Regionen mit Sauerstoffmangel, weil sie nicht ausreichend von Blutgefäßen versorgt werden. Wir wollten nun wissen, was unter Sauerstoffmangel passiert", sagt Hoppe-Seyler.

"Schläfer" sind resistenter gegenüber Chemo

Senkten die Wissenschafter die Sauerstoffkonzentration in der Kulturschale so weit ab, dass sie der im schlecht versorgten Tumorgewebe entsprach, drosselten die Krebszellen die Produktion von E6 und E7 und stellten ihr Wachstum ein. Sie leiteten jedoch nicht die Seneszenz ein, sondern verfielen in eine Art von Schlafzustand. Bekamen sie wieder Sauerstoff, so erwachten die "Schläfer" und setzten die Zellteilung wieder fort.

Die "Schläfer", die sich in Tumorregionen mit geringem Sauerstoffgehalt bilden können, sind resistenter gegenüber Chemotherapie, die sich bevorzugt gegen teilende Zellen richtet. Außerdem entziehen sie sich der Immunabwehr, da sie keine HPV-Proteine mehr ausbilden, an denen sie die Abwehrzellen erkennen könnten.

Latente Gefahr bleibt

E6 und E7 galten bisher als ideale molekulare Angriffsziele für eine zielgerichtete Behandlung HPV-bedingter Tumoren, an der intensiv geforscht wird. Doch auch solche Medikamente könnten den "Schläfern" nichts anhaben, da ihnen die entscheidenden Zielmoleküle fehlen.

"Für Patienten mit HPV-bedingten Tumoren stellen diese Zellen eine latente Gefahr dar: Schrumpft ein Tumor, beispielsweise nach einer erfolgreichen Therapie, und erhalten überlebende Tumorzellen wieder Anschluss an Gefäßversorgung und Sauerstoffzufuhr, so könnten sie für eine Wiederkehr der Erkrankung sorgen", so Hoppe-Seyler. "Bei der Entwicklung neuer Therapien dürfen wir uns nicht allein auf die Zielmoleküle E6 und E7 konzentrieren, sondern müssen auch Strategien entwickeln, welche die Schläferzellen ausschalten", ergänzt der Experte. (APA, 24.1.2017)