Ja eh: Über Traumtage zu erzählen ist einfach. Weil sich die Kombination von knallblauem Himmel, feiner Umgebung und Bewegung im Freien von selbst erklärt. Egal ob im Sommer oder bei minus 7 Grad. Und ziemlich egal, wo: Laufen – oder was man halt gerne draußen tut – kann unter solchen Bedingungen immer und überall phantastisch sein. Wenn man es mag halt. Und wenn man dann statt um die Lacken und Teiche im unteren Prater oder der Lobau einmal auf dem Wasser laufen kann, ist das natürlich großartig.

Foto: Thomas Rottenberg

Erst recht, wenn man nicht der Einzige ist, der sich dann doch hin und wieder fragt, ob er nicht ein bisserl plemplem ist, weil er es drinnen so gar nicht aushält.

Da ist es dann geradezu beruhigend relativierend, im letzten Eck des Praters von Herrn Gerhard zunächst mal angefahren zu werden. Weil man ihm – der da tagtäglich anrückt, um mit Fahrrad, Schneeschaufel, Besen und Transistorradio seinen ganz persönlichen Eislaufplatz zu präparieren – gefälligst nicht wieder Schnee aufs Eis schleppen möge.

So unwirsch Herr Gerhard anfangs wirkt, so freundlich wird er, wenn man ihn erzählen lässt.

Und eigentlich hat er ja recht: Das Eis ist zwar für alle da – aber es gibt ja derzeit wirklich genug davon, um nicht ausgerechnet auf den geräumten Stellen laufen zu müssen.

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Trotzdem: Nur von solchen Erlebnissen zu erzählen wäre zu einfach. Obwohl es natürlich genug Menschen gibt, die sich auch bei diesem Wetter an den Kopf greifen und von "Fremdfrieren" reden, wenn bei diversen Winterlaufveranstaltungen (dieses Wochenende war im Prater der LCC mit seinem "Eisbärcup" an der Reihe) und auch sonst fast überall Läuferinnen und Läufer durch die Gegend wuseln – während das Thermometer satte Minusgrade zeigt.

Den "Fehler", vom eigenen daunenverpackt-durchfrosteten Standpunkt (im Wortsinn) auf das Frieren von Menschen in Bewegung zu schließen, auszuräumen, ist aber schwer: Dafür müsste man stehenbleiben und erklären – und genau dann wird es eben kalt.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur gibt es eben auch die anderen Tage. Die, an denen man schlicht und einfach genau keine Lust hat. An denen man den Hintern nicht hochkriegt. Und auch gar nicht hochkriegen will. Und obwohl man weiß, dass der einzige Weg, sich von dieser Stimmung zu befreien, exakt das wäre, das zu verhindern Körper, Sofa und Schokoladevorräte gerade eine infernalische Troika gebildet haben: aufstehen, rausgehen – und der eigenen einen gewaltigen Tritt in den Allerwertesten geben.

Das kann unendlich schwer sein – obwohl man doch eh weiß, dass es einem nachher besser geht. Immer. Der Haken ist halt der Initialzünder. Das Aufstehen. Der Tritt in den Arsch. Kurz: der Start.

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Ein bisserl fremdbestimmt sein kann da helfen. Befehlsempfänger denken nicht. Oder weniger: Sie erfüllen nur irgendeine Pflicht. Egal wie kraus und verquer die von außen auch scheinen mag. Und manchmal eben auch widerwillig.

Auch deshalb trainiere ich gerne nach Plan. Sogar dann, wenn ich auf kein spezifisches Ziel hinarbeite: Wenn da im Plan was von "Grundlagenlauf" steht, dann seufze ich eben, verfluche den Plan, wünsche seinem Ersteller Hustenschnupfenheiserkeit an den Hals und in die Bronchien – und trabe dennoch los …

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… und überlege mir davor kurz noch, welche anderen Gründe mich noch rauszwingen könnten.

Im konkreten Fall hatte ich sogar zwei: neue Schuhe und eine Thermohose, die mir Hersteller (in dem Fall Salomon und Dynafit) auf den Tisch gelegt hatten.

Salomon – nach eigenen Angaben unangefochtener Marktführer im Traillaufbereich – möchte mit dem "Sonic" auch auf der Straße endlich und endgültig einen Fuß auf den Boden bekommen.

Und Dynafit – als High-End-Label auch eher abseits der asphaltiert-urbanen Spielplätze ein Begriff – hatte mit der "Mezzalama PTC U Overshort" eine superleichte, superwarme Trainingsüberhose geschickt, die eigentlich für Skitourenwettkampfathleten als Notfall-, Wettersturz- und Rastplatzhose konzipiert ist: fürs Laufen ziemlich sicher zu warm – aber den Minus-7-Grad-Ganzlockerlauf-Versuch allemal wert.

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Dass der "Sonic" aus einer aufs Gelände fokussierten Schmiede kommt, merkt man schon, bevor man ihn überhaupt anhat: Die Sohle wirkt steifer und stabiler als die vieler vergleichbar schwerer (eigentlich: leichter) Straßenschuhe. Und wer die Qualität seiner Laufschuhe an der Weichheit der Dämpfung im hinteren Bereich misst, ist hier falsch.

Das bestätigt sich auch auf den ersten Kilometern: Der Sonic läuft sich fest und kompakt. Er sitzt gut und präzise – und bietet auch bei suboptimalen Bodenverhältnissen guten, soliden Grip. Ob das aber genug ist, aus einem allem Anschein nach guten einen zwingenden Schuh zu machen?

Foto: Thomas Rottenberg

Auch die Dynafit-Hose kann – und will – ihre Herkunft gar nicht verleugnen: Sie ist so leicht, dass ich ihr zunächst nicht einmal ansatzweise jene Wärmewirkung zugetraut hätte, die sie binnen Minuten entfaltete. Auch das Öffnen der – bei Schneegestöber sicher superpraktischen – gummierten Gamasche am Beinende brachte da nur kurze "Erleichterung": So warm war meinem Hintern bei Minusgraden zuletzt, als ich im Kindergartenalter im Overall am Rodelhügel mit dem Bob im Schlepptau nach oben stapfte.

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Und obwohl ich hier nur in der Grundlage lief und das die einzigen Läufe sind, bei denen mir hin und wieder kalt wird, war ich mit dieser Hose hier definitiv overequipped.

Auf Skitour – oder für Schlechtwetter-Pistenrutschereien am zugigen Sessellift – hat das (sehr klein zusammenlegbare) Teil aber definitiv einen Platz in meinem Rucksack reserviert: Die durchgehenden seitlichen Zipps machen das Ding nämlich nicht nur für groben Unfug mit antiken Statuen kompatibel, sondern eben auch zum sinnvollen, da schnell und unkompliziert an- und ablegbaren, Begleiter dort, wo er hingehört und Sinn macht: am Berg.

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Meine erste Meinung zum Sonic wollte ich aber nicht ohne fachkundige Bewertung oder Gegenmeinung im Raum stehenlassen. Und weil es bei Grundlagenläufen bei Hobbyläufern ziemlich wurscht ist, ob man zwischendurch eine Foto-, Espresso- oder Plauderpause einlegt, lief ich meine Hausrunde statt über den Franz-Josefs-Kai eben durch die Gonzagagasse: Dort ist nämlich der "Run Inc"-Laufshop – und weil meine Lust zum brav-trägen Dauerlaufen immer noch enden wollend war, würde ich mich dort einmal über die elektronische Druckmesspunktplatte mogeln – und fragen, ob der Schlapfen tatsächlich kann, was er mir zugeflüstert hatte.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Run Incs – Lukas Bauernberger (im Bild), Jürgen Wukovits und Alfred Darabos – staunten zunächst: "Du hast den schon? Was hältst du von ihm?" Falsche Frage: Ihr seid die Auskenner. Sagt ihr es mir. Lachen. "Stimmt, wir haben ihn auch schon getestet: Er ist fester und solider als viele andere Straßenlaufschuhe – und die Lamellenstruktur der Sohle erinnert ein bisserl an die Beweglichkeit des Free-Konzeptes von Nike." Das macht ihn vermutlich auch ein bisserl abseits der Straße brauchbar: Da kann Salomon die eigene Herkunft nicht verleugnen.

Fein. Aber wie passen der Schuh und sein Abdruck auf der Messplatte zu meinem Lauf? "Wenn du wirklich so sauber läufst wie jetzt grad – also am Vorfuß – kannst du beinahe jeden Schuh nehmen: Da brauchst nämlich weder Pronationsstütze noch Dämpfung. Und am Bild sieht man dort, wo du ja nicht aufsetzt, natürlich auch keinen Impact und kein Abrollen …"

Foto: Thomas Rottenberg

Also nochmal. Und ganz bewusst so, wie ich mir über Jahre hinweg versucht habe, möglichst nicht – oder wenig – zu laufen: auf und über die Ferse. Das sieht nicht nur gleich ganz anders aus, sondern fühlt sich auch gleich anders an (und klingt auch anders). Schon bei den drei oder vier Schritten im Laden spüre ich plötzlich die Dämpfung – und bin froh. Erstens, dass sie da ist. Zweitens, dass mich Sandrina Illes mit ihrer Betonung der Wichtigkeit von Techniktraining in den letzten Jahren wohl doch nicht ganz fruchtlos gequält hat.

Foto: Thomas Rottenberg

Und? "Ja, das passt. Wenn man so läuft: aufsetzen, abrollen, abdrücken. Den Schuh könnte man jemandem mit deiner Fußstellung und diesem Laufverhalten durchaus anziehen. Und es gibt aus unserer Sicht auch nichts, was gegen diesen Schuh spricht."

Zwingend, stimmten die Experten mir dann zu, ist der Schuh aber ebenso wenig wie die meisten anderen Jedermann- und Jedefrau-Alltagslaufschuhe im Sortiment.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch darum geht es den Herstellern wohl auch gar nicht: Trail- und Geländelaufen ist zwar das groß-angesagte Ding – aber tatsächlich von der Straße und dem hyperzivilisierten Terrain auf den Trail oder nur den Waldweg wagt sich immer noch erst einer von vier Läufern. Wenn überhaupt.

Der große Markt läuft also auf befestigten Routen – und nicht nur Marken wie Salomon und Dynafit, auch die Betreiber der spezialisierten Trail-Shops im urbanen Umfeld (Wien etwa hat da seit August mit "Traildog-Running" einen echten Spezialisten – dazu hier demnächst mehr) wollen an diesem großen Kuchen mitnaschen. Nachvollziehbar – und strategisch nicht blöd:

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Denn während die "großen" Labels ihre Credibility erst mühsam von der Straße ins Gelände transferieren müssen (und zwar auch dann, wenn sie eigentlich längst Trail-Ausrüstung im Sortiment haben), funktioniert das andersrum viel einfacher: So wie bei einem Großteil der für härteste Outdoor-Expeditions-Einsätze konzipierten Berg- und Outdoor-Produkte, die nie extremere Bedingungen als die Hüttengaudi neben der Talstation aushalten müssen, geht es um Potenziale: Wenn man denn wollte, könnte man, weil es das Image der Marke suggeriert.

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Und wenn das Lust darauf macht, den eigenen Erlebnishorizont irgendwann dann tatsächlich zu erweitern – wer bin ich, dazu etwas anderes zu sagen als: "Go for it!"

Alle erwähnten Schuhe und Kleidungsstücke wurden zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

(Thomas Rottenberg, 25.1.2017)

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