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Schuld ist der "höhere Geist", erklärt Erdoğan den Bürgern.

Foto: Reuters/Sezer

Ankara/Athen – Samil Tayyar weiß immer Rat. "Wenn Trump erfolgreich sein will", so twitterte der türkische Regierungspolitiker dieser Tage, "dann muss er sich den Führer zum Vorbild nehmen". Mit dem "Führer" oder dem "reis", wie er huldvoll von seinen Anhängern in der Türkei genannt wird, ist natürlich Staatschef Tayyip Erdoğan gemeint. Und in der Tat ist die Expertise in Fragen der politischen Kommunikation und der Bereitstellung "alternativer Fakten" in Ankara über die Jahre derart gewachsen, dass sie sich der neue US-Präsident durchaus zum Beispiel nehmen könnte.

So überraschte Ankaras Bürgermeister Melih Gökçek im vergangenen Herbst die türkische Öffentlichkeit mit einer seiner Enthüllungen: Die Amerikaner seien dabei gewesen, am 14. August ein künstliches Erdbeben im Marmarameer vor Istanbul auszulösen, schrieb Gökçek, der täglich twittert und dies vorzugsweise in Großbuchstaben. Er habe die Tat, mit der die türkische Wirtschaft zerstört werden sollte, im letzten Moment vereitelt. Doch die Planungen Washingtons gingen weiter.

Nato als Terrororganisation

Samil Tayyar, der Kolumnist und AKP-Abgeordnete aus Gaziantep, der einmal als Linkspolitiker begonnen hatte, war am Montag gut für eine andere Schlagzeile: "Die Nato ist eine Terrororganisation", erklärte der Regierungspolitiker im Interview mit "Milat", einer kleinen AKP-treuen Zeitung, die ebenso wie andere national-islamistische Blätter seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands vermehrt gefördert zu werden scheint.

"Hinter allen Militärcoups steckt die Nato", erklärte Tayyar und meinte damit die geglückten und gescheiterten Staatsstreiche des türkischen Militärs in den zurückliegenden Jahrzehnten. Gemeinsam mit allen Terrororganisationen versuche die Nato, die Region in ihrem Sinn zu gestalten, behauptete der Regierungspolitiker weiter und zog aus seinen Überlegungen den Schluss: "Wir können also auch die Terrororganisation Nato zu Daes, der PKK und FETÖ hinzufügen." Daes ist die in der Türkei übliche, aus dem Arabischen kommende Abkürzung für den "Islamischen Staat"; FETÖ das von der Regierung gefundene Kürzel für das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen.

Staatschef Erdoğan wiederum erklärt seinen Bürgern regelmäßig, wer tatsächlich Terrorserie, Kursverfall der Lira und die Probleme der türkischen Armee in Syrien steuert: der "üst akil" – der "höhere Geist" -, eine düstere Umschreibung, in der Platz ist für das Weiße Haus, Gülen, die deutsche Industrie und nötigenfalls noch andere, der Türkei übelwollende Akteure. Erdoğan ließ in der Nacht zu Montag vier neue Notstandsdekrete veröffentlichen. Mit der Pressefreiheit in der Türkei befasst sich diese Woche der Europarat in Straßburg. (Markus Bernath, 24.1.2017)