Bild nicht mehr verfügbar.

Die indischen Trinkgewohnheiten sind "problematisch", sagt ein Experte. Durch das generelle Alkoholverbot sollen Unfälle, Krankheiten und Gewalt verhindert werden. Doch auch durch illegal gepanschten Alkohol sind seit dem Verbot schon zahlreiche Menschen gestorben.

Foto: APA/EPA/PIYAL ADHIKARY

Rund 100 Millionen Einwohner zählt der indische Bundesstaat Bihar. Ein Drittel von ihnen soll am Samstag Hand in Hand eine Kette gebildet haben. Aufgerufen hatte der Ministerpräsident zu der Aktion – um eine umstrittene Entscheidung zu stützen.

Als sich am Samstag die ersten Menschen im indischen Patna an den Händen griffen, sollten sie nur der Auftakt sein für die bisher wohl längste Menschenkette weltweit. Rund 32,5 Millionen Menschen bildeten bis zum Nachmittag eine etwa 3.316 Kilometer lange Menschenkette – das zumindest verkündete die Regierung im Bundesstaat Bihar, die die gegen Alkoholkonsum gerichtete Aktion organisiert hatte.

"Menschen – darunter Bauern, Arbeiter, Frauen und Kinder – hielten einander 45 Minuten an der Hand, um ihre Unterstützung der Prohibitions-Politik der Regierung zu zeigen", hieß es vom Veranstalter-Team in Patna, der Hauptstadt des Bundesstaates im Osten Indiens. Mitarbeiter von Guinness World Records waren allerdings nicht anwesend – einen offiziellen, im Buch der Rekorde erfassten Superlativ wird es demnach nicht geben.

Absolutes Alkoholverbot

Zur "längsten Menschenkette der Welt" hatte Nitish Kumar aufgerufen, der Ministerpräsident Bihars. Ziel der Aktion war es, eine seiner umstrittensten politischen Entscheidungen stützen: Seit April 2016 ist es den rund 100 Millionen Einwohnern von Bihar verboten, Alkohol herzustellen, zu verkaufen oder zu konsumieren.

Das Bundesland und sein Ministerpräsident folgen damit einem Trend in Indien: Das Verbot von Alkohol – Prohibition genannt – ist in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Wahlkampfthema in den Bundesstaaten geworden, in deren Verantwortungsbereich der Umgang mit Alkohol liegt.

Bihar ist der bisher größte Bundesstaat, der sich dazu entschlossen hat. In ihrem Wahlkampf hatten die Befürworter argumentiert, dass dies der einzige Weg sei, die Familien von trinkenden Männern vor dem Ruin zu retten. Auch häusliche Gewalt, Kriminalität, Unfälle und Krankheiten sollen so eingedämmt werden.

Gemischte Erfahrungen

Kritiker halten entgegen, dass es den Befürwortern lediglich um die Stimmen derjenigen gehe, denen sie angeblich helfen wollen, nicht um echte soziale Reformen. "Ein völliges Verbot passt nicht in eine liberale Demokratie", sagte Denzil Fernandes, Chef des Indian Social Institute. "Höhere Steuern und ein stärker geregelter Verkauf wären die bessere Lösung."

Hinzu kommt, dass die bisherigen Erfahrungen mit der Maßnahme durchwachsen sind. Alkoholverbote gibt es auch in den Bundesstaaten Gujarat, Manipur und Nagaland. In allen drei Staaten sorgt ausufernder Schmuggel dafür, dass unter der Hand fast jeder Alkohol kaufen kann, der das möchte – und es sich leisten kann. Ärmeren droht die Gefahr, sich mit illegal gepanschtem Alkohol zu vergiften. Hunderte Menschen sind laut verschiedenen Berichten bereits gestorben.

Bihar will eine solche Entwicklung mit drakonischen Strafen verhindern: Wer das Alkohol-Verbot umgeht, dem drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis und eine Strafe von bis zu einer Million Rupien (rund 13.800 Euro). Knapp 32.000 Menschen wurden bereits verhaftet und mehr als eine halbe Million Liter Alkohol beschlagnahmt.

Problematische Trinkgewohnheiten

Johnson Edyaranmula von der Suchtberatung Alcohol and Drug Information Centre kritisiert den radikalen Ansatz der Regierung. "Die indischen Trinkgewohnheiten sind problematisch, ein Drittel der Trinker fallen in die Kategorie des riskanten Konsums", sagte er. "Aber es braucht eine wohlüberlegte und auf mindestens zehn Jahre angelegte Kampagne, in die die lokalen Gemeinschaften einbezogen werden, um dieses Problem zu lösen."

Ministerpräsident Kumar indes scheint entschlossen, weiter dem Weg absoluter Verbote zu folgen. In einem Gastbeitrag für das Medienhaus NDTV schrieb er kürzlich: "In Bihar machen wir keine halben Sachen". (APA, dpa/S. Kumar/S. Mauer, 23.1.2017)