Wie man die Berliner Kunst-Werke behutsam modifiziert und damit Perspektiven auf die Zukunft eröffnet: Hanne Lippards Installation "Flesh" vereint eine Wendeltreppe mit einem Klangerlebnis.

Foto: Frank Sperling

Berlin – Die moderne Kunst steht unter Verdacht: Mit all ihren Bemühungen um Komplexität kommt sie manchmal doch nicht weiter als das "Am, dam, des" aus einer berühmten Kindersendung. Sinn und Nonsens gehen häufig ineinander über, und meistens ist das sogar noch Absicht, wie nun wieder in einer Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken. Die Norwegerin Hanne Lippard arbeitet nicht mit "am, dam, des", sondern mit dem Urakt des Bezeichnens: "der, die, das". Dreimal bestimmter Artikel; doch das, was zu bestimmen bleibt, lässt das Lautgedicht durchaus offen. "Isn't this it? It is? This is."

Lippard arbeitet mit ihrer eigenen Stimme, das Werk muss man hören, und es hat auch einen starken Auftritt: Denn es wurden dafür immerhin die Kunst-Werke umgebaut. Mitten im Hauptraum befindet sich nun eine Wendeltreppe, die in einen Dachausbau führt, in dem man sich Lippards Arbeit anhören kann. Das ist eine zugleich minimale und große Geste, ein relativ diskretes Werk, das aber einen ganzen Raum bespielt.

Hoffnungen, Spannungen, Geld

Die Kunst-Werke, das Institute for Contemporary Art, auch Heimat der Berlin-Biennale, sind 25 Jahre alt geworden. Keine andere Institution in Berlin steht deutlicher für die Hoffnungen, die sich mit der Wiedervereinigung auf die Stadt richteten, aber auch für eine produktive Spannung zu den Euphorien des Betriebs, der die Szene mit Geld überschwemmt. Am Wochenende sperrten die Kunst-Werke nach einer Umbaupause wieder auf. Das Programm verantwortet ein neuer Direktor: Der Niederländer Krist Gruijhtuisen wechselte vom Grazer Kunstverein nach Berlin.

Das Eröffnungsprogramm zeigt nun, dass Gruithuijsen die in der Branche unerlässliche Selbstinzenierung (die sich ja längst mehrfach selbst reflektiert und bricht) auch mit minimalistischen Arbeiten auszubalancieren weiß. Mit dem Konzeptkünstler Ian Wilson und mit Hanne Lippard werden die nicht spektakulär, sondern klug adaptierten Räumlichkeiten in Berlin-Mitte äußerst zurückhaltend bespielt – sieht man einmal von der besagten Wendeltreppe ab, die den Hauptraum dominiert.

Der Südafrikaner Ian Wilson hat schon Ende der 1960er-Jahre mit der Herstellung von Werken aufgehört und sich einer besonderen Form der materiallosen Kunst zugewendet: Er pflegt das Gespräch, wobei er großen Themen nicht abgeneigt ist (das Unbekannte, das Absolute). Von diesen Gesprächen bleibt dann in der Regel nicht mehr als eine Einladungskarte oder ein Zertifikat – und das, woran sich die teilnehmenden Personen erinnern.

Es ist vermutlich eine der spartanischsten Ausstellungen, die man sich denken kann: ein paar Kreise auf dem Boden, ein paar Dokumente – damit hat es sich schon. Im Mai wird Wilson dann persönlich nach Berlin kommen, zu einem Gespräch, von dem es eine Bescheinigung geben wird.

Freuden des Konkreten

Hanne Lippard bezieht sich mit ihrer Arbeit Flesh auf Wilsons Kreise (die Zen-inspiriert sind). Sie wird zwischendurch auch überraschend konkret, wenn sie nämlich eine Phrase aus der neueren Umgangskultur übernimmt: "Where do you see yourself in 10 years from now?" Es klingt, als könnte man diese Frage auch Gruithuisen und den Kunst-Werken stellen: In zehn Jahren könnte immer noch alles so sein, wie es vor 25 Jahren plötzlich war – eine offene Stadt, die sich weiterhin selbst sucht. Oder aber, es könnte alles so sein, dass sich die Kunst ganz anderen Rechtfertigungsszenarien ausgesetzt fühlen müsste, als dies gegenwärtig der Fall ist. Das wäre das schlimme Szenario.

Im Augenblick aber zeigt sich Gruithuijsen, der auch das übliche Geschwurbel ("Alles ist heute Kommunikation") überzeugend präsentiert, als Taktiker: Die "neuen" Kunst-Werke starten beinahe diskret und verheißen gleichzeitig eine Menge. (Bert Rebhandl, 23.1.2017)