Am Ende dann, nach dem letzten Satz seiner Rede, kann er sich die Pose des Triumphs nicht länger verkneifen. Donald Trump ballt die Hand zur Faust, als stünde er auf einer Wahlkampfbühne und nicht auf einer Balustrade vorm Kapitol. Als müsste er noch immer seine Anhänger anfeuern, ihre Wut schüren, noch immer gegen die politische Elite wettern. Als wäre er noch nicht Präsident.
Heute übergebe man die Macht nicht nur von einer Administration an die nächste, von einer Partei an eine andere, sagt er, "heute geben wir sie euch, dem Volk, zurück". Zu lange, fügt er an, habe eine kleine Gruppe in Washington die Früchte geerntet, während das Volk die Kosten getragen habe. Politiker seien zu Wohlstand gelangt, "aber die Arbeitsplätze haben das Land verlassen, und die Fabriken wurden geschlossen".
Das Establishment habe zwar sich selbst geschützt, nicht aber die Bürger des Landes. Zu lange, sagt er, habe man die Industrien anderer Staaten reicht gemacht, auf Kosten der eigenen Industrie. "Von diesem Tag an wird eine neue Vision unser Land leiten. Von diesem Tag an wird es America first heißen. America first!". Den "radikalen islamischen Terrorismus" werde seine Regierung "vollständig ausrotten".
So rabiat und protektionistisch hat es in der jüngeren Geschichte der USA noch keiner gesagt, der an der Westseite des Parlaments stand, um zum Präsidenten vereidigt zu werden. Zu den Pflichtübungen einer Amtseinführung gehört es, von Versöhnung zu reden, vom Heilen der Wunden. Trump macht klar, dass es nicht der typische Machtwechsel ist.
"Nicht mein Präsident!"
Während der Wahlschlacht war er der Populist, der die in der Hauptstadt versammelten Akteure, gleich welcher Partei, kollektiv zu Versagern stempelte. 18 Monate lang zeichnete er ein dystopisches Zerrbild der Wirklichkeit. Auch in dem Punkt bleibt er sich am Freitag treu. In düsteren Tönen spricht er von Verbrechen, Drogen, Banden: "Das amerikanische Blutbad muss aufhören, hier und jetzt." Die Zeit für leeres Gerede sei abgelaufen, sagt er, die Stunde des Handelns angebrochen.
Dass es keine typische Inauguration ist, dass nicht wie sonst das feierliche Zeremoniell die Differenzen für einen Tag übertüncht, das ist deutlich zu spüren. "Nicht mein Präsident! Nicht mein Präsident!", skandieren Demonstranten. Im Zuge von Unruhen werden mindestens 90 Personen festgenommen, die Polizei setzt Tränengas ein. Zur Großdemonstration heute, Samstag, erwarteten die Veranstalter 200.000 Menschen.
Mit Donald Trump, sagt ein Student, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will schon Freitag, könne man sich nicht aussöhnen. Der sei ein Spalter, der jede Bevölkerungsgruppe vor den Kopf stoße, Schwarze, Latinos, Frauen – nur nicht: weiße Männer.
Donald Trump habe die Chance, ein zweiter Ronald Reagan zu werden, meint dagegen Russell Martin, Mitte fünfzig, rote Baseballkappe mit Trumps Slogan "Make America Great Again". Martin ist aus Atlanta nach Washington gefahren, knapp zehn Stunden auf der Autobahn. "Ich glaube wirklich, und vielleicht bin ich da naiv, dass er etwas Gutes für unser Land tun wird."
Das Ritual ist natürlich das gleiche wie immer, sosehr Trumps Redetext von den Gepflogenheiten abweicht. Am Morgen geht der President-elect, wie er vor seinem Amtsschwur noch heißt, in die Kirche, St. John's Episcopal Church gegenüber dem Weißen Haus. Um halb zwölf betritt er auf der Westseite des Kapitols die hell gestrichene Holzbalustrade. Der mormonische Tabernakelchor aus Salt Lake City singt. Später erklingt die Nationalhymne.
"Wir wollen Trump!"
Als aber der New Yorker Chuck Schumer, der ranghöchste Demokrat im Senat, ans Pult tritt, um in markanten Sätzen an die Werte der Demokratie zu erinnern, muss er gegen Sprechchöre ankämpfen. "Wir wollen Trump! ", schallt es von der Wiese vor dem Parlamentshügel.
Dann legt der Milliardär eine Hand auf zwei Bibeln und schwört einen Eid. Auf die eine Bibel hat bereits Abraham Lincoln geschworen, als er 1861 zum Präsidenten vereidigt wurde. Die andere hat er von seiner Mutter erhalten, als er 1955, kurz vor seinem neunten Geburtstag, die Sonntagsschule abschloss. "Ich, Donald John Trump, schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich ausüben und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen werde."
Dann hält Trump seine Rede. Vor allem dürfe sie nicht zu lang sein, lange Monologe würden die Leute nur langweilen, hatten Berater des 70-Jährigen vor der Zeremonie wiedergegeben, was ihrem Chef durch den Kopf gegangen war. Man wolle die Ärmel hochkrempeln, eine kompakte Ansprache solle dies unterstreichen. Am Abend zuvor, bei einem Galadinner, hatte Trump noch gescherzt, selbst wenn es wie aus Eimern schütte, sei ihm das egal; dann sehe man, dass er echtes Haar auf dem Kopf trage und keine Perücke. Tatsächlich beginnt es während der Ansprache zu regnen.(Frank Herrmann aus Washington, 20.1.2017)