Dass Politiker des Öfteren bildlich gesprochen "die Hosen runterlassen", kritisiert der Spanier Escif. Das Bild "Antes/despues" (vorher/nachher) ist in Valencia zu sehen.

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Leo Specht: Nicht mehr über jene die Nase rümpfen, die der Demagogie der Rechten erliegen.

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Der Wahlsieg Donald Trumps wirft Fragen auf, die für eine moderne Linke auch in Europa von Bedeutung sind.

Zunächst jene der Konfrontation mit dem Status quo. Vor den Wahlen vom 8. November schien ein finanzielles, kulturelles und politisches Machtkartell in den USA nicht überwindbar. Hillary Clinton war die Kandidatin dieses Machtkartells, das weit in die Republikanische Partei reicht(e).

Bernie Sanders' Niederlage in den Vorwahlen schien eine Bestätigung dieser Annahme. Obwohl seine Erfolge in 22 Staaten, vor allem in jenen des Mid-West und in der sozialem Abstieg ausgesetzten "middle class", den zentralen Punkt aufzeigten, an dem dieses Machtkartell brechen konnte: die – in Europa so genannte – soziale Frage, welche in den USA als "wirtschaftliche" diskutiert wird.

Sanders' Befund der sozialen Frage in den USA: Der Wert von Lohnarbeit sank während der letzten drei Jahrzehnte. Löhne reichen nicht mehr aus, Familien der Middle Class (Arbeiter und mittlere Angestellte) zu ernähren. Prekariat und Mehrfacharbeit haben "gute Arbeitsplätze" verdrängt. Er trat daher für einen Mindestlohn, eine staatliche Sozialversicherung und ein Investitionsprogramm der öffentlichen Hand ein. Das Ziel war die Schaffung von Arbeitsverhältnissen, welche Versorgungssicherheit, vergleichbar jener der 50er- und 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, gewährleisten.

Trump als Anwalt sozialer Veränderung

Mit gänzlich anderen Vorzeichen formulierte Trump dieses Versprechen. Er machte sich die soziale Frage auf eine Weise zu eigen, die im konservativen Rust-Belt vermittelbar war. Dazu gehörten auch jene unappetitlichen Ausbrüche, die eine Arbeiterschaft als Kampfansage an die hegemoniale Kultur verstand, welche sie für die Verschlechterung ihrer Lage verantwortlich macht. Und da Clintons Versuch, sich Sanders' Programm anzueignen, vielen unglaubwürdig erschien, profilierte sich Trump als Anwalt sozialer Veränderung.

Um den sozialen Anliegen breiter Schichten zu entsprechen, stilisierte sich Clinton zur Verfechterin sozialer Reformen, als progressive Populistin. Trump dagegen kultivierte das Bild des skrupellosen Entrepreneurs, der das System kennt, da er es erfolgreich für seine Ziele genutzt hatte. In dieser Rolle war er vielen ein – im Vergleich zu Clinton – glaubwürdiger Vertreter von Wandel und Veränderung.

Zu Clintons Nachteil wirkte jener Gegensatz, der zu einem der wichtigsten Herrschaftsmechanismen in den USA seit der konservativen "Gegenrevolution" der vergangenen Dekaden wurde: der Antagonismus zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Gemeint ist damit der – wirtschaftlich bedingte – materielle Abstieg des US-Mittelstandes, der im Schatten kultureller (sozialer) Auseinandersetzungen vor sich ging. Diese kulturellen Konflikte rührten an Grundfesten eines tradierten "American way of life": Arbeit, ein spezifisches Bild der Familie und sozialer Aufstieg.

Political Correctness

Die von diesen Entwicklungen Betroffenen, die amerikanische Middle Class, empfinden, dass die in Medien und der Unterhaltungsindustrie propagierten Kulturveränderungen – Stichwort Political Correctness – nicht ihren Lebensverhältnissen entsprechen. Weite Schichten akzeptieren einen veränderten kulturellen Code nicht mehr als verbindlich.

Trumps Auftreten entsprach nicht nur nicht diesem Code, Trump stilisierte sich zum Interpreten der Verhältnisse, die er in der Vergangenheit erfolgreich für sich genutzt hatte. Sein Schulterschluss mit dem Mittelstand war also ein doppelter: Er verstieß gegen den Code einer scheinbar hegemonialen Kultur – von Political Correctness – und versprach, Manipulationen des Systems – zuungunsten sozial Schwacher – einen Riegel vorzuschieben.

Mit anderen kulturellen – und ideologischen – Vorzeichen hat der (Vor-)Wahlkampf Sanders' dasselbe Versprechen geleistet. Es zielte auf die Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse der sozial Schwachen und prangerte die sich stetig vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich an. Damit war er selbst für große Teile jener Middle Class wählbar, die nicht seine kulturellen Positionen teilten.

Vor allem aber unterstützten weite Teile der Middle Class jene sozial- und wirtschaftspolitischen Vorschläge Sanders', die an den Grenzen des US-Systems rüttelten. So etwa die auf staatliche Finanzierungen des Bildungs- und Pensionssystems abzielenden Teile von Sanders' Programm.

Paradoxe

Als Sanders' Kampagne der Erfolg verwehrt war, wandten sich viele systemskeptische, vor allem durch eine soziale Agenda motivierte Wähler Trump zu. Dies unterscheidet sie von jenen Millennials, die – aus kulturellen und ideologischen Gründen – hiezu nicht bereit waren. Im Ergebnis zerbrach die durch Howard Dean neu geformte, den Erfolg Obamas ausmachende Reformkoalition.

Aus sozialpolitischen, also gar nicht paradoxen Gründen ist sie – in Teilen – nun in das Lager Trumps gewechselt. Trump versprach staatliche Hilfe für Beschäftigungsprogramme. Und er formulierte Positionen gegen jenes Machtkartell um Clinton, das ein Synonym für das Scheitern des American Dream ist. Dabei ist es völlig unerheblich, ob Trump selbst diesem Kartell angehört. Entscheidend im Wahlkampf waren seine öffentlichen Positionen, auch gegen die ihn nominierende Republikanische Partei.

Dies erklärt auch den nunmehrigen Schritt Trumps, eine eigenständige politische Kraft zu formen. Er baut weiter an einer (Gegen-)Öffentlichkeit von sozialen Medien. Und er verstärkt Mobilisierungen durch Auftritte, die der Zuspitzung von politischen Aussagen durch Personalisierung dienen.

Daher hat sich die strategische Position der reformorientierten Linken in den USA verbessert. Sozial- und wirtschaftspolitische Reformvorschläge treffen auf ein besser aufbereitetes Terrain als 2008 oder 2012. Beide Seiten fokussierten 2016 auf die soziale Frage und auf Verteilungsgerechtigkeit. Auf der Rechten ist darüber hinaus die Hegemonie fiskal-konservativer Positionen infrage gestellt. Das nach der Wahl von einer republikanischen Mehrheit des Kongresses beschlossene Auslaufen von Sozialprogrammen für Kohlearbeiter ist beispielhaft dafür. Trump hat versprochen, die Arbeiter weiter zu unterstützen.

Agenda der Veränderung

Ein Teil der US-Linken argumentiert daher, Trump beim Wort zu nehmen und eigene Vorschläge in dieser Auseinandersetzung zu schärfen. Die Erneuerung der Demokraten sieht sie in diesen sozialen Auseinandersetzungen. Dazu gehört, die vom Standpunkt der Linken zu unterstützenden Punkte einer Agenda Trumps mitzutragen. Darin liegt die Parallele zur reformorientierten Linken in Europa. Auch sie hat sich von der zentristischen Polemik gegen den "Populismus" abzugrenzen. Die Ängste der sozial Schwachen sind nicht einer kulturell regressiven Rechten zu überlassen.

Die in Österreich nun florierenden Ansagen gegen Pessimismus, Hoffnungslosigkeit und Angst sind in eine Agenda der Veränderung zu gießen. Das bedeutet, rechte Demagogie durch Programme zu kontern, die auf soziale und Verteilungsgerechtigkeit gerichtet sind und der Veränderung gesellschaftlicher Arbeit Rechnung tragen. Dazu mag gehören, nicht mehr ausschließlich Lohnarbeit im Zentrum gesellschaftlicher Reproduktion zu sehen und Arbeit neu zu bestimmen.

Es ist hoch an der Zeit, nicht mehr über jene die Nase zu rümpfen, die der Demagogie der Rechten erliegen. Denn die herrschenden Verhältnisse sind die Verhältnisse der Herrschenden. Und mit diesen hat sich die Linke, in Europa und in den USA, zu lange, zum Nachteil vieler, arrangiert. (Leo Specht, 21.1.2017)