Der neue US-Präsident Donald Trump bringt illiberale Neigungen ins Amt mit, die die Demokratie schwächen könnten, aber nicht müssen.

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Es war kurz nach der Wahl im November des Vorjahres, als der Politikwissenschafter Jeff Colgan mit einem Katalog von Warnsignalen für Aufsehen sorgte. Colgan lehrt an der Brown University, einer der Hochschulen der prestigeträchtigen Ivy League.

In einer Studie listete er zehn Faktoren auf, die nach seinen Worten erkennen lassen, wenn eine Demokratie zu erodieren beginne. "Angesichts der illiberalen Neigungen Donald Trumps müssen wir die (unwahrscheinliche) Möglichkeit ernst nehmen, dass die Demokratie und der Rechtsstaat in den Vereinigten Staaten geschwächt werden können", schrieb er. Er wolle keine Panik verbreiten, wohl aber ein paar Warnzeichen aufstellen.

Zu ihnen gehören, bei Colgan an erster Stelle, die Einschüchterung der Medien sowie Restriktionen für Journalisten. Zweitens würden Krisen und eine Lähmung des Politikbetriebs angeführt, um Notmaßnahmen zu rechtfertigen. Drittens Minderheiten attackiert und Fremde zu Sündenböcken erklärt. Viertens der Raum der Zivilgesellschaft beschnitten, etwa durch finanzielle Hürden für Nichtregierungsorganisationen. Fünftens das bestehende politische System rhetorisch abgelehnt. Sechstens Gerichte mit parteiischen Richtern besetzt usw.

Ein bekanntes Muster

Es sei schwer, sich das alles für die USA vorzustellen, aber nach diesem Muster funktioniere es, fasste es der Akademiker aus Providence (Rhode Island) zusammen. So habe es in Russland und Polen, Venezuela und Ungarn funktioniert. Allein schon die Tatsache, dass der Wahlsieg Donald Trumps eine solche Studie hervorgebracht hat, verfasst an einer Eliteuniversität, sagt einiges aus über die Demokratiedebatte in den Vereinigten Staaten.

Dass Trump im Weißen Haus gegen demokratische Normen verstoßen werde, indem er krasse Lügen verbreite und Widersacher niedermache, davon müsse man ausgehen, analysiert der Journalist John Cassidy im "New Yorker". Womöglich werde der Druck des Amts, verbunden mit der Isolation in der Machtblase, die diktatorischen Tendenzen des Milliardärs noch verstärken.

Was, wenn etwas schiefläuft

Besonders dann, wenn etwas schieflaufe, was irgendwann unvermeidlich der Fall sein werde während einer Präsidentschaft. Trumps Verhaltensmuster kenne man, meint Cassidy. Die Unbekannte sei, ob das politische System damit fertigwerde, ob es die präzedenzlose Herausforderung einzuhegen und den Mann einzudämmen verstehe.

Welche Reformen die amerikanische Demokratie in Angriff nehmen müsste, liegt auf der Hand. Ein im Jahr 2010 gefälltes Urteil des Obersten Gerichts, in dessen Folge private Spendengelder praktisch unbegrenzt an Kandidatinnen und Kandidaten für Wahlämter fließen können, wenn auch getarnt durch die Bildung "politischer Aktionskomitees", müsste dringend kassiert werden. Was allerdings unwahrscheinlich ist, weil die Kräftebalance am Supreme Court mit den Personalentscheidungen des Präsidenten Trump zugunsten der Konservativen kippen dürfte.

Weniger Stimmen, aber vorn

Die zweite Reform, notwendig, aber kurzfristig nicht zu machen, setzt das Bohren überaus dicker Bretter voraus. Dass Hillary Clinton das Duell im Präsidentschaftswahlkampf gegen ihren Kontrahenten verlor, obwohl sie fast drei Millionen Stimmen mehr erhielt, lässt einmal mehr den Ruf nach einer Korrektur des Wahlsystems laut werden.

Der Filmemacher Michael Moore nennt es eine "obskure, schwachsinnige Idee aus dem 18. Jahrhundert"; es sollte garantieren, dass kleinere Bundesstaaten ihr Mitspracherecht gegenüber den größeren wahren. Daran wird sich auf absehbare Zeit wohl nichts ändern: Bevölkerungszwerge wie Montana, North Dakota oder Wyoming denken nicht daran, etwas von ihrem politischen Gewicht abzugeben.

Angesichts Trumps illiberaler Neigungen müssen wir die (unwahrscheinliche) Möglichkeit ernst nehmen, dass in den USA Demokratie und Rechtsstaat geschwächt werden können.(Frank Herrmann aus Washington, 21.1.2017)