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Proteste am Tahrir Platz in Kairo während des Arabischen Frühlings.

Foto: AP / Ben Curtis

Es ist eine vielzitierte Binsenwahrheit, dass die USA, als sie 2003 in den Irak einmarschierten, kein Konzept für das Land hatten: Sie wussten, wie man einen Krieg gewinnt (etwas später auch das nicht mehr), aber nicht, wie man den Frieden gewinnt, heißt es immer. Ganz korrekt ist das jedoch nicht, denn die Regierung von George W. Bush hatte sehr wohl eine Vorstellung davon, wie sich der Irak entwickeln sollte.

Was der Irak werden sollte, war so selbstverständlich, dass dafür keine besonderen Pläne vonnöten waren: Vom Diktator Saddam Hussein befreit, würde sich der Irak zur Demokratie wandeln.

Das Instrumentarium für diesen Weg schien ganz einfach: Wahlen, mit denen man die – bereits vorhandenen, denn der Irak war ja doch auch unter Saddam eine Republik – staatlichen Institutionen befüllen würde, sowie eine freie Marktwirtschaft, mit der der Irak in die Weltwirtschaft integriert werden würde. Letzteres war der Bush-Regierung besonders wichtig, denn der Irak sollte seine Befreiung ja selbst finanzieren, und für die USA würde dabei auch noch etwas abfallen.

Die heilige Marktwirtschaft

Mit der Marktwirtschaft ging es ein bisschen schneller – die Grenzen wurden geöffnet, viel billiger Trash strömte ins Land, und die Reste der staatlichen Industrien wurden zerschlagen (und die, die davon gelebt hatten, in die Wüste geschickt). Die Demokratie dauerte etwas länger, den Fahrplan dorthin entwarf die Uno – und er entsprach ziemlich genau jenem, den sich ab 2011 drei der vier arabischen Länder verordneten, die im Zuge des damals sogenannten Arabischen Frühlings ihre Diktatoren losgeworden waren: Tunesien, Ägypten, Libyen.

Der Weg geht so: Eine (naturgemäß nicht gewählte) Regierung bereitet Wahlen für ein Übergangsparlament vor; die Wahlsieger bilden eine Regierung, und das neue Parlament bestimmt eine verfassungsgebende Versammlung, die eine neue Verfassung schreibt; diese wird dem Volk in einem Referendum vorgelegt; danach finden Parlamentswahlen unter der neuen Verfassung statt. Und damit hat das Land ein demokratisches Parlament und eine demokratische Regierung, und alles ist gut.

Krieg und neuer Umsturz

Aber gar nichts war gut. Auch nicht im Jemen, der eine Variante wählte: Zuerst sollte eine nationale Konferenz einen Konsens finden, wie der neue Jemen auszusehen habe – eine neue Verfassung entwerfen –, erst nach Abschluss dieses Prozesses würde gewählt. Das Ergebnis war in Libyen und im Jemen Krieg, in Ägypten ein neuer Umsturz, nur in Tunesien konnte der – stets prekäre – politische Prozess gerettet werden.

Was ist da los? Die klassische Antwort verweist auf die Inkompatibilität zwischen Demokratie und der arabischen Welt, wobei als der eine große Stolperstein der Islam ausgemacht wird.

Der Schönheitsfehler bei dieser Argumentation hat einen Namen, einen Ländernamen: Südsudan. Der Südsudan ist nicht nur ein mehrheitlich christliches Land mit einer winzigen muslimischen Minderheit, er wurde von der internationalen Gemeinschaft sogar quasi als Gegenprojekt zum bösen islamistischen Sudan unter Aufwand von riesigen Mitteln entworfen und gebaut. Und dennoch folgte auf die Unabhängigkeit der brutalste Bürgerkrieg, den man sich nur vorstellen kann.

Sieger ohne Legitimation

Mittlerweile ist ja der Westen/ Norden auch nicht mehr so sicher zu wissen, was Demokratie ist – und welche Ergebnisse sie zu zeitigen hat. Ironisch könnte man sagen, dass anstelle des Demokratieexports, wie wir ihn uns vorgestellt hatten, ein Export der Legitimitätskrise der Demokratie in die andere Richtung stattfindet.

Denn daran scheiterte es bei den genannten Länderbeispielen: Die Wahlen produzierten Sieger, aber Sieger ohne Legitimation in den Augen der Verlierer. Anstatt Legitimation zu schaffen, vertieften Wahlen und neue Verfassung die Spaltung. Der Denkfehler war, dass ein "politischer Prozess" mit dem Allheilmittel Wahlen allein schon als Vehikel zur Legitimationsbeschaffung gilt.

Man kann in jedem einzelnen Fall besondere Umstände identifizieren oder aber Gemeinsamkeiten suchen, die das Scheitern auslösen, tribale Strukturen, autoritäre Vergangenheit, Kolonialismus, "künstliche" Grenzen, zu heterogene Gesellschaften. Man wird nicht weit damit kommen: Es wird immer ein Gegenbeispiel geben.

Sicher ist nur: Es war westliche Hybris. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schien der historische Beweis geliefert zu sein, dass das westliche Modell das einzig valide – und immer und überall funktionierende – ist. Und knapp dreißig Jahre später erweist sich, dass die Sache mit der Legitimität auch bei uns nicht so einfach ist, wie uns das stets schien. (Gudrun Harrer, 21.1.2017)