Der literarische Horrormeister Chuck Palahniuk veröffentlicht seine Kurzgeschichtensammlung "Jetzt bist du dran!" nun auf Deutsch.

Foto: Michal Kamaryt

Wien – In seinem bekanntesten Buch hauen sich junge weiße Männer gegenseitig, bis einer weint, einen Zahn ausspuckt oder mit Blaulicht in die Notaufnahme muss. Man kennt die gleichnamige Verfilmung Fight Club und deren dringenden Wunsch, sich in der kalten, toten, modernen Welt spüren zu wollen (und ein wenig aufgestaute Aggressionen loszuwerden), vor allem wegen Brad Pitt und der Schlussszene mit den einstürzenden Bürobauten und dem dazu laufenden Pixies-Song Where Is My Mind?.

Der das Publikum zumindest verstörende Fight Club ist vor gut 20 Jahren erschienen. Chuck Palahniuk veröffentlicht seitdem regelmäßig wie unerbittlich weitere Schlafstörungen verursachende Meisterwerke des schwärzest-schwarzhumoristischen Weltekels, literarischen Terrors und einer Gesellschaftskritik, die sich neben dem Bösen in der Welt vor allem mit Körperflüssigkeiten beschäftigt und damit, wie man sie aus dem Menschen herausbekommt.

Stimmt schon, wer Chuck Palahniuk liest, fühlt sich danach oft beklommen, leichter aber ist einem auf jeden Fall auch: Da ist man durch. Das Horrorgenre würde sich kaum so lange halten können, wenn der Mensch, abgesehen von den realen Schrecken, nicht immer auch nach den künstlichen Kicks verlangen würde. Man sagt: Heinrich, Heinrich mir graut vor dir. Und Heinrich antwortet: Ach, wenn ich mir vor Angst nur in die Hose machen könnte.

Palahniuk dazu: "Ich schreibe Grimms Märchen für Erwachsene. Zehen werden abgeschnitten. Es wird in die Hölle gefahren. Die Nackenhaare sträuben sich. Wenn Sie meinen, dass meine Bücher am Ende ein ähnlich erlösendes Schmerz-lass-nach-Gefühl bereithalten wie der Besuch eines Zahnarztes, muss ich Sie enttäuschen. Ein Zahnarzt bringt Dinge wieder in Ordnung. Ich nicht."

Das alles geschieht im Jahresrhythmus, der auf ein ambitioniertes Buch jeweils ein schnell für Geld geschriebenes folgen lässt, für das sich die meisten anderen Horror-Autoren aber trotzdem gern verhauen lassen würden. Sprachlich besteht die Tendenz, das Verb zu suchen und das Adjektiv zu meiden.

Unter die Haut, an die Nieren

Neben Choke (Der Simulant), Lullaby, der im Umfeld eines pornografischen Weltrekordversuchs spielenden Familienaufstellung Snuff oder Invisible Monsters (Fratze) stehen dabei zwei Romane im Mittelpunkt.

In Survivor (Flug 2039), 1999 drei Jahre nach Fight Club erschienen, spricht ein Flugzeugentführer, letzter lebender Jünger einer christlichen Selbstmordsekte, seine Geschichte auf die Blackbox der leergeräumten und nun auf eine harte letzte Landung zielenden Passagiermaschine. Überhaupt werden in Palahniuks Welt schon recht früh Gebäude wie diverse Wolkenkratzer, der Petersdom in Rom oder die Kaaba in Mekka in die Luft gejagt. Das mag im Jahr 2017 retrospektiv gesehen vielleicht schon etwas vom Lauf der Zeit überholt erscheinen.

Richtig toll allerdings wird der in den Wäldern Oregons auf einer einst tatsächlich von einer Sekte bewohnten Farm lebende Autor allerdings ohnehin immer nur dann, wenn es zeitlos zwischenmenschlich zugeht. In der ganz im Wortsinn unter die Haut, an die Nieren oder in die Hose gehenden Rahmennovelle Haunted (Die Kolonie) etwa, in der sich 17 ohne ihr Wissen eingemauerte Nachwuchsautoren in einem Schreibseminar befinden, das Nebenwirkungen zeitigt, von denen der Tod noch die angenehmste ist.

In der Tradition dieser ekelerregenden Großtat steht nun auch Palahniuks Kurzgeschichtensammlung Jetzt bist du dran! (2015 im Original: Make Something Up). Es geht um große amerikanische Hinterhofthemen wie Geschlechtskrankheiten zwecks Penisvergrößerung, Bootcamps, um Homosexuelle zu "heilen", Defibrillatoren als neueste Rich-Kids-Droge, mit denen man sich ins Glück des Wachkomas schießt – und natürlich geht es auch um das Glück der Erde nicht unbedingt auf dem Rücken der Pferde.

Das liest sich tatsächlich oft so, als hätte Palahniuk als aufsässiges Kind tatsächlich die sadomasochistische Neigung, bei den Eltern mit Grauslichkeiten um Watschen zu betteln. Er kriegt sie halt leider nicht. Kunst muss aufregen. (Christian Schachinger, 20.1.2017)