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Viele Flüchtlingsunterkünfte in Griechenland haben keinen oder nur erschwerten Zugang für Rollstuhlfahrer zu den Sanitäranlagen.

Foto: REUTERS/Alkis Konstantinidis/File photo

Athen/Wien – Eigentlich könnte der achtjährige Ali gehen. Trotzdem sitzt der Bub aus Afghanistan im Rollstuhl. Denn um eigenständig zu gehen, braucht Ali physikalische Therapie und eine Gehhilfe. Beides bekommt er aber im Athener Camp Ellinko nicht. Zu seiner körperlichen Behinderung kommt noch ein schweres Trauma durch die Flucht. Ali hat Schwierigkeiten zu sprechen. Die Toilette kann der Achtjährige nicht allein aufsuchen – sie ist nicht für Rollstuhlfahrer zugänglich. Seine Eltern trugen ihn immer wieder auf das verdreckte Klo. Doch mittlerweile greifen sie wieder auf Windeln zurück.

Der Bursche ist einer von vielen behinderten Flüchtlingen, die nach ihrer Ankunft in Griechenland keine adäquate Versorgung bekommen. Das stellt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht fest. In insgesamt 15 Camps führten die Mitarbeiter der NGO im Oktober 2016 und Jänner 2017 Gespräche mit Betroffenen und Helfern. Nur zwei der besuchten Flüchtlingslager hatten Sanitärbereiche, die für körperlich behinderte Personen zugänglich waren. Oft waren die Wege so steinig, dass Rollstuhlfahrer nicht vorwärtskommen.

Fehlende Unterlagen

Doch nicht nur die Unterbringung der Menschen ist nicht angemessen, wie Emina Cerimovic, eine der Autorinnen des Berichts, sagt: "Die Betroffenen werden oft bereits bei der Registrierung übersehen." Die Beamten brauchten eine bessere Ausbildung und mehr Kollegen, um die Registrierung der Flüchtlinge sorgfältig durchzuführen. "Nicht nur geistig beeinträchtigte Menschen werden übersehen, auch körperlich behinderte Menschen konnten in Einzelfällen ihre Beeinträchtigung nicht registrieren lassen, weil medizinische Unterlagen fehlten", so Cerimovic.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stimmt zu, dass bei der Aufnahme und in regierungsgeführten Camps Menschen mit besonderen Bedürfnissen übersehen werden, so Roland Schönbauer vom Athener Büro. Verheerend sei vor allem, dass besonders verletzliche Flüchtlingsgruppen – darunter fallen auch behinderte Menschen – Anspruch auf ein beschleunigtes Verfahren hätten. "Es ist wichtig, dass eine Behinderung sofort erkannt wird, damit die Leute schneller aufs Festland in feste Unterkünfte kommen", so Schönbauer.

Hilfe für verletzliche Gruppen

21.000 Unterkunftsplätze des UNHCR sind eigentlich für Menschen reserviert, die in andere EU-Länder im Rahmen des Relocation-Programms umgesiedelt werden. Davon wurden 37 Prozent an Personen vergeben, die zwar keinen Anspruch auf die Relocation haben, aber zu einer verletzlichen Gruppe gehören. Somit müssen sie nicht mehr in den Flüchtlingscamps leben.

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass jeder Siebente weltweit eine Beeinträchtigung hat. Bei einer Übung der griechischen Behörden zur Vorregistrierung von mehr als 27.000 Flüchtlingen im Juni und Juli 2016 wurde nur ein Prozent als behindert registriert. Eine zu geringe Schätzung, wie das UNHCR und Human Rights Watch feststellen. (Bianca Blei, 19.1.2017)