Igort/Reprodukt

Igort:
Berichte aus Japan. Eine Reise ins Reich der Zeichen

Reprodukt, Berlin 2016
184 Seiten, 24,70 Euro

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Astro Boy, Hokusais Ansichten des Fuji, Unmengen an Mangas, Farbholzschnitte, Animationsfilme: Es ist eine fabelhafte Welt der Bilder, die sofort vor dem geistigen Auge von Comic-Liebhabern auftaucht, wenn sie an Japan denken.

Das schier unerschöpfliche und für uns Westler oft unergründliche Universum der Zeichen und Zeichnungen übt wohl gerade für jene, die noch nie Japan besucht haben, eine geheimnisvolle Anziehungskraft aus. Genauso ging es auch dem italienischen Comiczeichner Igort (eigentlich Igor Tuveri), als er Anfang der 90er-Jahre zum ersten Mal Japan bereiste, um in der Folge immer wieder für längere Zeit in Tokio zu leben.

"Japan war zur Schatulle meiner Träume geworden", schreibt er zu Beginn des Comic-Bandes mit dem schlichten Titel "Berichte aus Japan. Eine Reise ins Reich der Zeichen", das kürzlich auf Deutsch erschienen ist. Und: "Dieses Buch erzählt vom Verfolgen eines Traums und der Einsicht, dass man Träume nicht erreichen kann."

Japanische Gedankenwelt

Diese nur vordergründig paradoxe Mischung aus purer Begeisterung und ruhiger Abgeklärtheit bestimmt den Ton des gesamten Bandes. Der kommt zum Glück nicht einfach als eine weitere autobiografische Abhandlung daher, wie es derzeit im Graphic-Novel-Genre so oft der Fall ist. Das Buch ist auch kein Reisebericht, wie der Titel suggeriert. Mithilfe von assoziativen Ketten, einer losen Folge an historischen Abrissen und persönlichen Erlebnissen führt Igort die Leser tief in die Geschichte und Gedankenwelt Japans.

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Wir folgen dem 1958 geborenen Autor, der zu den ganz großen Künstlern der Comic-Erzählung zählt, zunächst dabei, wie er bereits Anfang der 1980er-Jahre mit "Baobab" eine Comic-Reihe schuf, die in Japan spielte – inspiriert durch Roland Barthes' "Das Reich der Zeichen" und Brian Enos "Oblique Strategies". Durch Zufall bekam er zehn Jahre später die Gelegenheit, nach Tokio zu gehen, dem "Paradies für Zeichner". In der Comic-Redaktion von Kodansha, dem größten Verlag im Land der aufgehenden Sonne, arbeitete er zunächst an "Amore", einer in Sizilien angesiedelten Mafiaserie, und an der erfolgreichen Manga-Serie "Yuri" – damals ein Unikum für einen europäischen Zeichner.

Zen-Sitzungen und Zeichenmarathons

Unvermeidlich, dass es zu Beginn zu einer Reihe kulturbedingter Missverständnisse kommt, in diesem "Universum kryptischer Regeln", das so weit erscheint und räumlich gesehen oft so begrenzt ist – zumindest was den Wohnraum anbelangt. Igort lässt sich darauf ein, besucht Zen-Sitzungen, absolviert nächtelange Zeichenmarathons, um das strikte Arbeitspensum zu erfüllen, und streift tagsüber durch Straßen und Gärten.

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Zwischen Episoden des Alltags stellt Igort in oft textlastigen Exkursen Persönlichkeiten vor, die ihn fasziniert, beeinflusst, berührt haben: Literaten, Denker, Haiku-Dichter, von Ikonen über weniger berühmte Künstler abseits von Hiroshige, Hokusai und Co bis hin zu B-Movie-Regisseuren. Mit einer gewissen Wehmut widmet er sich besonders dem alten Japan, das in einer ständigen Verkettung von Anmut und Gewalt, von Schönheit und Tod wurzelt.

Sumo-Ringer und Kurtisanen

In wunderbar verblasst-vergilbte Farben getaucht, gibt er in ganzseitigen Zeichnungen Meisterwerke genauso wie Fotos und andere Fundstücke wieder, erzählt in kleinen Episoden von der Bedeutung der Chrysanthemen, von Sumo-Ringern, Samurai und rituellem Selbstmord. Er beschreibt abgründige Rituale und Tabus, erzählt Geschichten von einer mordenden Kurtisane und von einem von der Bildfläche verschwundenen Zeichner.

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Daneben gräbt Igort in der Geschichte der Mangas, widmet sich Propaganda-Anime und gibt aus erster Hand Einblicke in die aktuelle japanische Comic-Produktion, an deren harten Anforderungen er selbst beinahe scheitert. Er lernt Manga-Koryphäen wie Osama Tezuka ("Astro Boy") und Jiro Taniguchi ("Vertraute Fremde") kennen und besucht den berühmten Hiyao Miyazaki, das Mastermind hinter dem Studio Ghibli, der wichtigsten Trickfilmschmiede Japans.

Nach "Berichte aus der Ukraine" (2011 bei Reprodukt) und dem zweibändigen Werk "Berichte aus Russland" (2012 und 2013) unter anderem über die Tschetschenienkriege hat sich Igort mit "Berichte aus Japan" eines weiteren Herzenslands angenommen, diesmal weniger aus einem politischen Blickwinkel denn aus einem künstlerischen Ansatz heraus. Ein zweiter Band ist bereits in Planung.

Durch die stilistische Bandbreite, die Igort hier zeigt, und eine wohltuende Mischung aus Fakten, Anekdoten, Porträts und Mythen fällt es nicht schwer, sich von der vielzitierten Poesie Japans in den Bann ziehen zu lassen. Und weiter zu träumen vom Reich der Zeichen. (Karin Krichmayr, 23.1.2017)