Postfaktisch ist in aller Munde. Von der Gesellschaft für deutsche Sprache gekürt zum Wort des Jahres, steht es etwa für die Dominanz des subjektiv Empfundenen über die objektiven Gegebenheiten oder – seinem englischsprachigen Pendant nacheifernd und von der Trump'schen Ankündigungsmanie befeuert – für politisches Handeln jenseits der Wahrheit. Auch wenn die Anlässe nachvollziehbar und die Anliegen ehrenwert sein mögen: Die derzeitige Verwendung des Begriffs ist nicht nur völlig misslungen, sondern auch brandgefährlich.

Misslungen deswegen, weil so unterschiedliche Gebiete wie die Informationswissenschaft, die Managementlehre oder die soziale Systemtheorie sich im Wesentlichen darüber einig sind, dass Fakten (=Daten) zwar in Hülle und Fülle vorhanden, aber für sich genommen relativ wertlos sind. Erst postfaktisch wird es wirklich spannend, d. h. dann, wenn Akteure – immer interessengeleitet, immer Zwecke verfolgend – sich der Fakten annehmen.

Hmm ...

Sie wählen aus, verleihen ihnen Bedeutung, es entsteht Information und, falls es in Richtung Handlung geht, Wissen. Von daher ist postfaktisch als Stoßrichtung zu begrüßen. Eine 16-Jährige auf dem Zebrastreifen in Wien vom Auto überfahren und tot? Ein Faktum, gewiss. Aber je nach Einbettung dieses Faktums in das größere Ganze doch von recht unterschiedlicher Bedeutung. Auf dem Weg ins Fitnessstudio? Vermutlich ein Drama. Auf dem Weg zum Sprengstoffattentat auf die vollbesetzte Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse? Hmm ...

Brandgefährlich ist die Verwendung von postfaktisch aber wegen seiner impliziten Interessenverschleierung. Fakten sprechen für sich? Unsinn, ja brandgefährlicher Unsinn. Was post factum (nicht) gemacht wird, ist zentral und besorgniserregend.

Daher: Ja zu "postfaktisch". Aber zu einem anderen postfaktisch, das die offenen und verborgenen Ideologien, Interessen und Zwecke herausschält und nicht weinerlich beklagt, dass Fakten keine Rolle spielen – wie sollten sie auch? (Wolfgang Mayrhofer, 17.1.2017)