An 99 von 100 Tagen sei sie gerne ins Rathaus arbeiten gegangen, sagt die scheidende Stadträtin Sonja Wehsely. Nach 20 Jahren in der Wiener Kommunalpolitik verbiegt sie sich künftig für Siemens.

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Wien – Der Entschluss, sich zu verändern, sei bereits zu Jahreswechsel 2015/16 gereift, sagte Sonja Wehsely am Freitag bei ihrer Abschiedspressekonferenz. Damals, als 45-Jährige, sei ihr klargeworden: "Mit 50 bin ich nicht mehr Gesundheitsstadträtin." Da sie noch gut 20 Berufsjahre vor sich habe, sei es an der Zeit, sich zu verändern. Konkret geworden sei das Angebot von Siemens Healthcare Mitte November, Donnerstagabend unterschrieb sie den Jobwechsel endgültig, per 1. April übernimmt sie eine Führungsstelle im deutschen Erlangen.

Bürgermeister Michael Häupl informierte Wehsely Freitagfrüh – er habe, sagt sie, "die Entscheidung zur Kenntnis genommen". Wenn sie gefragt werde, ob sie "ausgetauscht" worden wäre, solle sie Nein sagen – das habe ihr der Bürgermeister für die Pressekonferenz mitgegeben. Offiziell signalisierte Häupl "vollstes Verständnis" und bedankte sich für Wehselys 20 Jahre in der Kommunalpolitik. Sie war seit 1996 Abgeordnete zum Wiener Landtag. Im Juli 2004 wurde sie Integrationsstadträtin. 2007 wechselte sie ins Büro für Soziales.

Ihre Zehn-Jahres-Bilanz als Sozial- und Gesundheitsstadträtin garnierte die studierte Juristin am Freitag mit zehn "erfolgreich abgeschlossenen Projekten", zehn "für die Zukunft gestellten Weichen" – und mit zahlreichen Sinnsprüchen, die ihre Motivation für politisches Handeln darstellen sollten: "Stillstand ist Rückschritt, die einzige Kontinuität kann immer nur die Veränderung sein; wir leben in Wien und nicht im Vergleich" – das sei mitunter für sie ein Problem gewesen, da ein Blick auf weniger gut geführte Gesundheitssysteme in anderen Großstädten nicht geschadet hätte – "ich wollte immer gestalten, das ist Kommunalpolitik".

Keine Kritik

Kein Wort der Kritik, keine spitze Bemerkung in Richtung ihrer Gegner kam Wehsely auch beim Abgang über die Lippen: Die SPÖ sieht sie "vor große Herausforderungen gestellt", sie habe sich daher bewusst "in den vergangenen Tagen in die Debatte nicht so eingebracht wie manche andere". Das war ihr zuletzt als Schwäche ausgelegt worden, weil sie die Attacken gegen ihre Person nicht länger parierte.

Zu ihren Erfolgen zählt sie, die Gesundheitsreform 2013 auf den Weg gebracht und Wien ein völlig neues Geriatriekonzept verpasst zu haben. Das Thema Mindestsicherung sieht die scheidende Stadträtin auch mit einem weinenden Auge: Sie sei stolz auf das Wiener Modell – aber sie bedaure, dass es keine bundesweit einheitliche Lösung gegeben habe.

Auch auf ihr Engagement in Flüchtlingsfragen nahm Wehsely Bezug, für das sie nicht nur von der FPÖ, sondern teilweise auch parteiintern scharf kritisiert wurde. In Menschenrechtsfragen gebe es für sie "keine Kompromisse" – selbst, wenn man dafür "Beliebtheitsdellen" in Kauf nehmen müsse.

Bedauerlich sei, dass sie nun nicht mehr die organisatorische Neuaufstellung des Krankenanstaltenverbundes (KAV) auf die Beine bringe, denn ihr sei wichtig, dass die Stadt "hier weiter 100 Prozent hält". Gesundheitspolitik sei Sozialpolitik, dozierte Wehsely und sah sich in der Tradition von Julius Tandler. Daher sei sie auch "an 99 von 100 Tagen gerne ins Rathaus arbeiten gegangen". Ob sie nicht lieber doch Bürgermeisterin geworden wäre? Ihre Antwort fiel – wohl gewollt – doppeldeutig aus: "Bürgermeister von Wien ist der tollste Job der Welt." (Petra Stuiber, 13.1.2017)