Iman, Bushra und Abdullah wohnen in ihrer eigenen Wohnung.

Foto: Heribert Corn

Lamia wohnt bei einer Wiener Familie: Alles ist neu, anders, fremd – aber die Zukunft sieht wieder heller aus.

Foto: Heribert Corn

Ein schwarzes Kopftuch, aber darüber ein Haarreif mit Katzenohren. Bushra, 17 Jahre, hat sich für ein privates Faschingsfest verkleidet. Ihre ältere Schwester Huda trägt einen Hexenhut. Allerdings nicht über einem Kopftuch, sondern auf einer blonden Perücke. Iman hat ihre beiden Teenagertöchter zu dieser Party mitgebracht. DER STANDARD hatte sie im Frühling 2016 bei ihrem ersten Deutschkurs für Geflüchtete begleitet.

Iman und ihr Ehemann, ihre beiden Töchter und der 15-jährige Sohn sind im September 2015 aus Syrien geflohen. Nach zwölf Monaten in Österreich haben sie einen positiven Asylbescheid erhalten und dürfen bleiben. Nicht nur das, sie haben nach den ersten Monaten im Notquartier Leyserstraße Ende des Sommers eine eigene Wohnung in der Wiener Sargfabrik, einem alternativen Wohnprojekt, bezogen.

Imans Mann Abdullah hat geholfen, die Wohnung zu renovieren, knapp 75 Quadratmeter. Die Mädchen teilen sich ein Zimmer, es gibt ein Schlafzimmer für die Eltern, Sohn Chalil schläft auf dem grauen Schlafsofa im Wohnzimmer. Maklergebühr und Kaution, die für viele Asylberechtigte eine fast unüberwindliche Hürde darstellen, haben sie zum Glück nicht bezahlen müssen. Iman hatte den Tipp von einer freiwilligen Helferin, die regelmäßig ins Flüchtlingsheim kam. Heute ist sie Nachbarin und Freundin der Familie.

Bushra und ihr Bruder haben inzwischen einen Schulplatz im Gymnasium, die Älteste besucht ein Kolleg. Für Iman und ihren Mann ist dank positivem Asylbescheid nun das AMS zuständig. Beide besuchen Deutschkurse. Iman ist schon weiter, weil sie bei UKI bereits das Level A1 mit ausgezeichnetem Erfolg abschließen konnte.

Sie hat in Syrien als Apothekerin gearbeitet, würde in Österreich aber auch in die Gastronomie gehen. "Vielleicht in ein Restaurant", sagt sie, "ich kann gut kochen." Dass es hier mit der Nostrifizierung von Ausbildungen und Prüfungen nicht so einfach ist, hat sie verstanden. Trotzdem ist sie guter Dinge: "Wir hatten großes Glück", sagt sie.

Auf den Hund gekommen

Auch Lamia, 32, hatte Glück – aber ein bisschen weniger. Sie wartet, wie 42 Prozent der in Wien Grundversorgten (Stand Anfang Dezember 2016), seit mehr als zwölf Monaten auf ihre Asylentscheidung. Auch sie kommt aus Syrien, ist aber staatenlose Palästinenserin. Lamia und Iman haben einander in ihrem ersten Deutschkurs kennengelernt und blieben in Kontakt.

Die alleinstehende Lamia wohnt seit August 2016 privat bei einer Familie im 2. Wiener Gemeindebezirk. "Sie haben einen lieben Sohn, zwei Katzen und einen großen Hund, Hannibal", erzählt Lamia. Nur Letzterer machte ihr als gläubiger Muslimin anfangs Schwierigkeiten. Hunde gelten als unrein, aber Hannibal liebt Lamia und will gestreichelt werden. Vor dem Beten muss sie dann sieben Mal die Hände waschen.

"Wir können damit leben", sagt Miriam, die Gastgeberin. Auch beim Essen sei man nicht immer einer Meinung. "Sie muss sich schon nach uns richten", sagt Miriam. "Wir kochen nicht halal. Aber dann isst sie eben Reis und Gemüse." Zum Beispiel "Melochia". "Das schmeckt ähnlich wie Spinat", erklärt Lamia. Heute gibt es Leber. Das ist für alle ok, bis jemand auf die Idee kommt, sie mit Cognac aufzugießen. "Beim Flambieren verdampft der Alkohol", meint Miriam. Lamia ist nicht überzeugt. Ein Teil der Leber wird flambiert, der andere nicht. "Halleluja!", ruft Miriam, als endlich alle essen.

"Bildungscard"

Nicht immer gibt es so einfache Lösungen. Alles ist fremd und neu: die Sprache, die Kultur, das Essen, das Klima, die Stadt. Wohnen, Gesundheit, Bildung- und Weiterbildung, in einem weiteren Schritt Arbeit, müssen organisiert werden und das nicht nur für einige wenige.

Laut dem Fond Soziales Wien (FSW) sind derzeit 20.500 Menschen in Wien in der Grundversorgung. Damit ist Wien neben Vorarlberg das einzige Bundesland, das die vereinbarte Quote deutlich übererfüllt. Waren bis im Vorjahr 70 Prozent aller Menschen in Grundversorgung in Wien in Privatquartieren untergebracht, sind es derzeit etwas weniger: 62 Prozent sind privat untergebracht, 38 Prozent in organisierten Quartieren.

Bis zum Jahresende 2016, so lautete der ehrgeizige Plan der Wiener Stadtregierung, sollten alle diese Menschen nach ihrer Zulassung zum Asylverfahren nach einem Erstgespräch mit einer "Bildungscard" ausgestattet werden, die ihnen Infos zu Bildung, Gesundheit, Wohnen und sozialen Fragen liefert.

Orientierungsberatung

Seit dem Sommer gibt es dafür die "Bildungsdrehscheibe", seit November 2016 an einem neuen Standort in Rudolfsheim-Fünfhaus, im 15. Wiener Gemeindebezirk. 13 Berater und Beraterinnen arbeiten derzeit hier. Sie sind alle mehrsprachig und können laut Teamleiterin Michaela Aspalter "in insgesamt 14 Sprachen arbeiten" – darunter Hindi, Arabisch, Urdu, Pashto, Farsi, Punjabi, Türkisch, Englisch und natürlich Deutsch.

Das Aufgabenprofil der Bildungsdrehscheibe hat sich im Vergleich zum ursprünglichen Plan geschärft und ist jetzt klar auf Bildung fokussiert: "Bei rechtlichen, gesundheitlichen oder sozialen Problemlagen vermitteln wir an zuständige Stellen", erklärt Bereichsleiterin Michaela Beichl. Bleibt die Frage offen: Was genau macht diese Drehscheibe selbst?

"Wir bieten Orientierungsberatung", sagt Leiterin Aspalter, "wir klären ab, welche Kompetenzen und Qualifikationen jemand mitbringt, damit wir Zukunftsperspektiven entwickeln können." Aus dem Ergebnis werden dann Bildungspläne und der jeweils nächste konkrete Schritt entwickelt. Das Spektrum reicht dabei von Deutschkursen an der Volkshochschule, über das "Start Wien"-Jugendcollege bis hin zu Lehrgängen auf dem FH-Campus.

2400 Menschen seien bisher schon beraten worden, "davon 500 Frauen", sagt Beichl. Der Zugang zur Bildungsdrehscheibe erfolge über die jeweiligen Betreuungseinrichtungen. Es mache also keinen Sinn, einfach so vorbeizukommen. "Ziel ist ja, dass alle einmal drankommen." Das wird allerdings noch dauern.

Österreichweite Bildungsdatenbank

Die gute Nachricht dabei ist, dass die "Bildungscard" keine extra Karte, sondern die bestehende Servicecard mit erweiterten Funktionen ist. Und dass sie mit Ende des ersten Quartals 2017 bundesweit eingeführt werden soll. Auf diesem Wege soll es dann bald eine österreichweite Bildungsdatenbank geben, die auch mit dem Arbeitsmarktservice kompatibel ist.

Das Problem ist nämlich: Das ist derzeit noch nicht der Fall. Deswegen gingen bisher die Daten, die zu Ausbildungsstand und Qualifikation einer Person gesammelt wurden, verloren, wenn diese aus der Grundversorgung mitsamt positivem Asylbescheid in die Zuständigkeit des AMS wechselte. Das soll sich nun ändern.

Lamia wird in der Bildungsdrehscheibe von Behroz Abdali beraten. Er kommt aus Afghanistan und blickt selbst auf eine Fluchtgeschichte zurück. "Ich wäre froh gewesen", sagt er, "wenn es schon früher so eine Einrichtung gegeben hätte."

Realistische Perspektiven

Was kann er für Lamia tun? Sie hat als Sekretärin gearbeitet, eine Tätigkeit, für die in Österreich ihr Deutsch ausgezeichnet sein muss. Nach einem Jahr hier spricht sie schon sehr gut, sie hat erst einen Kurs bei UKI, dem Unterstützungskomitee für MigrantInnen, absolviert, dann einen der Diakonie. Jetzt ist sie schon auf Level A2+ und liest in ihrem Kurs Goethes "Leiden des jungen Werther". "Leider hat mir eine Kollegin verraten, wie es ausgeht", sagt sie.

Lamia verbringt ihre Zeit mit Lernen, denn ohne positiven Asylbescheid darf sie ohnehin keine Arbeitsstelle suchen. Im Sommer hatte sie noch erzählt, dass sie gerne wieder als Sekretärin oder Buchhalterin arbeiten würde. Dank der Beratung der Bildungsdrehscheibe hat sich ihr Wunsch inzwischen verschoben. Sie kann sich jetzt auch vorstellen, als Sozialarbeiterin oder in einem Pflegeheim zu arbeiten. Sozialberufe sind gefragt in Österreich, das ist ihr klar geworden. "Es geht darum, realistische Perspektiven zu entwickeln", sagt Michaela Aspalter.

Langes Warten auf den Bescheid

Die durchschnittliche Verfahrensdauer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ist im ersten Halbjahr 2016 auf 7, 6 Monate gestiegen. Die gesetzliche Entscheidungsfrist, also die maximale Zeit, die ein solches Verfahren dauern darf, liegt in Österreich bei 15 Monaten. In der Praxis kann es trotzdem länger dauern.

Die längste Dauer einer Grundversorgung in Wien beträgt laut Auskunft des Fonds Soziales Wien aktuell zwölf Jahre und fünf Monate. "Gestern früh", sagt Lamia, "war ich auf dem Bundesamt für Asylwesen. Zwei Monate, haben sie gesagt, maximal fünf, muss ich noch warten." Ob sie einen Plan B habe? Lamia kreuzt die Finger: "Nein. Ich denke positiv." (Tanja Paar, 15.1.2017)