Als "elektronische Herde" hat der "New York Times"-Kolumnist und Autor Thomas Friedman in den 1990er-Jahren die Finanzmärkte bezeichnet, die in Schwellenländer strömen, wenn sie Chancen wittern, aber bei politischer Instabilität und falschen wirtschaftlichen Entscheidungen Reißaus nehmen. Diese spekulativen Wellen werden heute viel kritischer gesehen als in der Glanzzeit der Globalisierung. Aber oft wirken sie als harte, aber faire Richter über uneinsichtige Politiker.

Das bekommt derzeit der türkische Präsident Tayyip Erdoğan zu spüren. Er kann Presse und Opposition zwar mundtot machen, aber gegen den massiven Kapitalabfluss und den Verfall der türkischen Währung helfen keine Drohungen – im Gegenteil. Die Türken erhalten gerade die Rechnung dafür präsentiert, dass ihr Präsident das Land von einer proeuropäischen Demokratie in eine autoritäre Willkürherrschaft führt. Die Preise für Importe steigen und damit die Inflation, und wer sich in Dollar oder Euro verschuldet hat, muss nun viel mehr zurückzahlen.

Aber die Lira-Abwertung hat auch ihre guten Seiten. Seit Jahren hat die Türkei ein riesiges Leistungsbilanzdefizit, das nur mit Auslandskapital finanziert werden kann. Genauso wie in Ägypten bietet eine schwächere Währung der Exportindustrie und dem Tourismus neue Chancen. Die Menschen fühlen sich zwar ärmer, aber die Wirtschaft wird gesünder – wenn die Regierenden nicht dagegenarbeiten. (Eric Frey, 12.1.2017)