Wien – Gibt es einen Ort, an dem es möglich ist herauszufinden, wer man wirklich ist? Man stelle sich vor, es wäre so – einfach losfahren zu können und bei der Selbstsuche fündig werden. Was aber geschieht, wenn es diesen Ort nur in der eigenen Vorstellung gibt? Wenn man dafür nirgendwo hinfahren müsste und ein einziger Moment genügt, um sich dennoch woanders wiederzufinden, mit einem einzigen Schritt oder einer einzigen Melodie? Dann eröffnet sich einem eine fantastische Welt, in der die Gesetze der Wirklichkeit außer Kraft gesetzt sind. Eine Welt, die möglicherweise in den buntesten Farben schillert und in der man singt und tanzt und durch die man sich dennoch so sicher bewegt, als hätte man nie zuvor etwas anderes getan. Dann ist man in der Welt des Filmmusicals angekommen.

Foto: Studiocanal

Mia ist eine junge Schauspielerin und wünscht sich an solch einen Ort. Gelandet ist das Mädchen vom Land – aufgewachsen in einem Haus gegenüber einer kleinen Ortsbücherei, die ihre Fantasie beflügelte – allerdings in Los Angeles. Denn nur hier werden ihre Träume wahr, so glaubt sie, obwohl es in Wahrheit jene sind, die alle haben. Was Mia noch nicht weiß – damit sich jener fürs Leben erfüllt, braucht es einen anderen Ort und einen Jazzpianisten namens Sebastian.

Eine ganze Stadt zu Füßen

"City of stars, are you shining for me?" Die Stadt der Sterne war schon immer Utopie. Doch wenn Emma Stone und Ryan Gosling in La La Land gemeinsam diese Zeile singen, glaubt man daran und die Antwort zu wissen. Denn selbstverständlich strahlt die Stadt, die ihnen in diesem Augenblick buchstäblich zu Füßen liegt, in Cinemascope nur für sie. Und doch merkt man diesem Film, der mit einer enthusiastischen Ouvertüre gleich einem Paukenschlag begonnen hat, bald seine Wehmut an, die hier nicht mit Nostalgie zu verwechseln ist: Wenn sich nach mehreren kurzen, zufälligen Begegnungen dieses Paar gefunden hat und an eine gemeinsame Zukunft glaubt, ahnt man bereits, dass ihre beste Zeit vielleicht schon vorüber sein könnte.

Letzte Brücken

Für eine Geschichte wie diese, die von den Hoffnungen der Unbemerkten – einer auf dem Studiogelände kellnernden Schauspielerin und einem erfolglosen Musiker – erzählt und somit vom großen Wünschen, könnte es kein besseres Genre geben als das Filmmusical. Damien Chazelle spielt – ohne dabei in bloßem Pastiche zu verharren – perfekt auf der Klaviatur der Erinnerung an dessen goldene Jahre, als Stars wie Gene Kelly, Fred Astaire oder Ginger Rogers die Leinwand zu einem Spiegel der Traumfabrik machten. Wenn das Traumpaar der Gegenwart auf dem Griffith Observatory, oben auf dem Mount Hollywood, den Sternen zum Greifen nah ist, fällt auch in La La Land das alles zusammen: Vergangenheit und Zukunft, ein Aufgehobensein im Augenblick, so intensiv, dass man sprichwörtlich den Boden unter den Füßen verliert.

Lionsgate Movies

Doch je mehr die Widerstände und Zwänge des Alltags zur Belastung werden, desto mehr bringt auch Chazelle die weiträumigen Choreografien und leuchtenden Farben zum Verschwinden, lösen immer häufiger kleine Gesten die großen Bewegungen ab. Bis hin zu einer mit wenigen Tastenanschlägen gespielten Melodie als letzter Verbindungsbrücke. "The fools who dream", singt Mia bei einem Vorsprechen vor schwarzem Vorhang. Und der Winter, den man über die Abfolge der Jahreszeiten schon vergessen hat, kehrt wieder.

Wie lange währt der richtige Zeitpunkt? La La Land erinnert nicht nur mit dieser voller Melancholie gestellten Frage stark an die Musikfilme des Franzosen Jacques Demy wie Die Regenschirme von Cherbourg, ebenfalls ein Film über die schiere Möglichkeit der Liebe, sondern auch mit seinen Verweisen auf Paris als romantischer Kulisse.

"Wie willst du ein Revolutionär sein, wenn du so an den Traditionen hängst?", fragt ihn ein Musiker, der Sebastian ein festes Engagement bietet. Man kann eben nicht beides sein. Genauso wenig wie an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig. Das Leben verlangt nach weiteren Schritten. (Michael Pekler, 12.1.2017)