Wer soll das Land regieren? Immer die stimmenstärkste Partei, meint der Kanzler.

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Der Kanzler, so scheint es, will auch in künftigen Regierungsbildungen weit nach seiner Zeit als Kanzler die Strippen ziehen. Seine Vorschläge zur Wahlrechtsreform sehen jedenfalls einiges vor, um künftigen Koalitionsverhandlungen deutlich engere Grenzen zu setzen.

Die wichtigste Änderung wäre ein zumindest partielles Abgehen vom Verhältniswahlrecht. Das Wort "Mehrheitswahlrecht" kommt im Positionspapier des Kanzlers zwar nicht explizit vor, doch stößt Kerns Vorschlag in dieselbe Kerbe, und hinter den Kulissen hört man, dass dem Kanzler durchaus weitreichende Änderungen vorschweben.

Gegen die "Verlierer"

Laut dem Positionspapier namens "Plan A" soll die stimmenstärkste Partei automatisch den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. Derzeit steht es dem Bundespräsidenten frei, wem er den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Traditionellerweise ergeht der Auftrag zwar an den Chef der stimmenstärksten Fraktion, festgeschrieben ist das in der Bundesverfassung aber nicht. Kern will das ändern, denn, so heißt es im Papier etwas polemisch, "unser Land ist zu wertvoll, um von VerliererInnen regiert zu werden".

Kerns Entwurf sieht auch vor, künftigen Regierungen vorzuschreiben, aus wie vielen Mitgliedern sie bestehen, welche Ressorts es gibt und wie lang ihre Koalitionsverhandlungen, so es welche gibt, maximal dauern dürfen. "Nach der Wahl muss die Bundesregierung innerhalb eines Monats die Arbeit aufnehmen", heißt es hier. Das Ziel: "Regierungen ohne lange Koalitionsverträge sind möglich, für Gesetzesvorhaben werden flexibel Mehrheiten gesucht."

Minister als Parlamentarier

Künftig sollen die Mitglieder der Bundesregierung, sofern sie davor Parlamentarier waren, zudem nicht mehr ihr Nationalratsmandat zurücklegen müssen, sondern weiter im Parlament sitzen und mitstimmen. Die Bundesverfassung erlaube dies, sagt Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk im Gespräch mit dem STANDARD, der Mandatsverzicht sei nur übliche Praxis, aber nicht verfassungsrechtlich vorgegeben.

Sollte Österreich tatsächlich vom Verhältniswahlrecht abgehen, dann müsste wohl das Volk darüber entscheiden, da es sich dabei um eine gravierende Verfassungsänderung handeln würde, die ein Plebiszit erfordert. Das ist aber ein hypothetischer Fall: Viel hänge vom Detail ab, sagt Funk. Sollte die Reform in Richtung "Verhältniswahlrecht mit mehrheitsfördernden Tendenzen" gehen, würde eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat ausreichen. Doch selbst die ist fraglich: Zwar fand der Vorschlag, ein minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht einzuführen, auf dem ÖVP-Bundesparteitag im Mai 2015 breite Unterstützung, in der SPÖ gibt es in dieser Frage aber keinen Konsens, und FPÖ und Grüne lehnen ein Mehrheitswahlrecht ab.

Schlecht für Kleinparteien

Für ein Mehrheitswahlrecht spricht, dass Wahlen klarere Verhältnisse schaffen und die Regierung handlungsfähiger ist. Dagegen spricht, dass kleinste Stimmendifferenzen gewaltige Auswirkungen haben können – und dass Kleinparteien unter die Räder kommen.

Das Konzept des "minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts" versucht, diesen Nachteil zumindest abzufedern, indem es auch Komponenten des Verhältniswahlrechts integriert. Das gelingt aber nur bedingt: Vor allem im Fall eines Kopf-an-Kopf-Rennens der beiden stärksten Fraktionen wären die Wähler verleitet, strategisch zu wählen – und die Verlierer wären in diesem Fall jedenfalls die kleineren Parteien. (Maria Sterkl, 11.1.2017)