Ohne Fehl und Tadel musizieren, tanzen und in der Kunst der Konversation brillieren: Ehe es soweit ist, steht den japanischen Unterhaltungskünstlerinnen eine jahrelange Ausbildung bevor.

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Ein Metier, das fordert: die berühmte Geiko Ikuko im Ryotai "Tsunara" im Stadtviertel Akasaka in Tokio.

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Die Dienste einer Geiko sind in Japan im Wesentlichen einigen Happy Few, vornehmlich Politikern oder Geschäftsleuten vorbehalten.

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Viel größer könnte der Unterschied zwischen draußen und drinnen nicht sein. Draußen: Das ist Tokio in all seiner Betriebsamkeit und mit all seinem Lärm, die Lautsprecherdurchsagen, das schrille synthetische Gepiepse aus Handys und sonstigem Elektronikzeug, das Gekreisch der Jugendlichen im Modeviertel Harajuku, das ohrenbetäubende metallische Klackern aus den Pachinko-Hallen.

Und dann: drinnen. Drinnen ein quasi exterritoriales Reich der Stille, ein verschwiegenes Eiland im tosenden Metropolenmeer. Drinnen: Das ist das Ryotei "Tsunara", ein Gasthaus im verwinkelten Tokioter Unterhaltungsviertel Akasaka, wo wir demnächst Frau Ikuko treffen werden. Frau Ikuko ist nicht irgendwer. Die 76-Jährige ist eine der bekanntesten Geishas Japans, Repräsentantin eines eigentümlichen Berufsstandes, der wegen des mangelnden Zuspruchs von jungen Japanerinnen immer mehr an Nachwuchsproblemem leidet und kontinuierlich schrumpft. Ungefähr 2.000 Geishas gibt es heute noch in Japan, in den 1920er-Jahren sollen es zehntausende gewesen sein.

Star des Abends

Zu Frau Ikuko geht man nicht einfach so, undenkbar, hier mit der Tür ins Haus zu fallen. Man tritt im Bewusstsein ein, ein Privileg zu genießen. Der Feierlichkeit der Begegnung gemäß spielt sich der Einzug gestaffelt ab. Etliche Damen in aparten Kimonos sind den Gästen beim Ablegen von Mänteln und Schuhen behilflich und geleiten sie sodann in ein Speisezimmer mit einem langen rechteckigen Tisch. Eine in eine holzvertäfelte Wand eingelassene Öffnung gibt den Blick auf einen kleinen, offenbar einzig Schmuckzwecken dienenden Raum frei, aus dem ein lebensgroßer weißer Glaskranich neben einem feuchten, philodendronartigen Gewächs teilnahmslos zu den Gästen hinüberblickt.

Vom Star des Abends ist noch nichts zu sehen, Ikuko bereitet sich auf ihren Auftritt vor. Allein das pechschwarze Haar zum perfekten Knoten zu wickeln ist eine Arbeit, die mindestens vierzig Minuten in Anspruch nimmt. Eine junge Maiko, eine "Lerngeisha", die als eine von acht Schülerinnen unter den Fittichen Ikukos zur Unterhaltungskünstlerin ausgebildet wird, serviert rohen Fisch, Bitterspinat, Grüntee und japanisches Bier.

Im Trippelschritt

Endlich ist es so weit, und Ikuko-San betritt, weiß geschminkt, fächerbewehrt und in einen schwarzen Kimono gehüllt, mit anmutigem Trippelschritt und perfekter Haltung den Raum. Sie zieht, so wird sie uns erklären, der Bezeichnung "Geisha" das Wort "Geiko" vor, weil in diesem der künstlerische Aspekt ihres Berufes deutlicher mitschwingt. Diesen vollendet zu meistern ist Sache einer langwierigen Ausbildung in sogenannten Okiya, Lehr- und Wohnhäusern, wo die angehenden Geikos unter Anleitung einer erfahrenen Doyenne über Jahre hinweg im Musizieren, Tanzen und der Kunst der perfekten Konversation unterwiesen werden.

Die Dienste einer Geiko sind in Japan im Wesentlichen einigen Happy Few, vornehmlich Politikern oder Geschäftsleuten vorbehalten. Im Ryotai werden allein für das Essen umgerechnet 150 Euro pro Gast verrechnet, jede Stunde Aufenthalt schlägt pro Person mit 300 Euro zu Buche, das heißt bei einer etwas größeren Gruppe werden an einem Abend leicht Summen im fünfstelligen Eurobereich umgesetzt.

Geiko ist ein Beruf, der, im gehobenen Segment, seine Frau ernähren kann, sagt Ikuko. Aber es ist ein Beruf, der fordert. Es gibt verheiratete Geikos und auch solche, die Kinder haben, aber der Beruf muss immer an erster Stelle stehen.

Die Mär von der Prostitution

Ob in den Preisen nicht nur Unterhaltungskünste, sondern auch erotische Dienstleistungen inkludiert sind? Ikuko beantwortet die fürwitzige Frage ohne erkennbare Gemütsregung mit eleganter Coolness: "Ein Drittel der Japaner glaubt, dass wir Prostituierte seien. Aber das ist falsch. Wir bieten unsere Talente feil, nicht unsere Körper."

Seit ihrem 16. Lebensjahr ist die nahe Nagasaki geborene Ikuko als Maiko bzw. Geiko tätig. Vor kurzem wurde sie von der Regierung ob ihrer Verdienste um die Kultur des Landes als erste Geiko überhaupt ausgezeichnet. Die Geschliffenheit ihrer Konversation zu genießen bleibt uns aus Mangel an Sprachkenntnissen verwehrt. Als Ikuko aber dann aus ihrem reichen Repertoire an tragischen und heiteren Liebesliedern ein heiteres vorträgt, da erschließt sich auch dem Fremden in Blitzesschnelle, dass ein Abend in Gesellschaft einer Geiko sein Geld wert sein muss. (Christoph Winder, RONDO, 7.2.2017)