Die Liste der Opfer ist prominent besetzt: Zu den Persönlichkeiten, deren E-Mails ausspioniert worden sind, gehören laut der römischen Staatsanwaltschaft Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), die beiden italienischen Ex-Premiers Matteo Renzi und Mario Monti, der ehemalige italienische Notenbankchef Fabrizio Saccomanni, der Kommandant der italienischen Finanzpolizei sowie zahlreiche führende italienische Politiker und Unternehmer. Mit dem Kurienkardinal Gianfranco Ravasi wurde auch ein Vertrauter von Papst Franziskus ausgespäht.

Die Urheber der Cyberattacke sind am Dienstag in Rom verhaftet worden, wie die römischen Staatsanwälte auf einer Pressekonferenz erklärten. Bei den Tätern handle es sich um einen 45-jährigen Nuklearingenieur und dessen 49-jährige Schwester. Für ihre illegalen Tätigkeiten haben sie laut den Ermittlern ein sogenanntes "Botnet" aufgebaut – ein mit Spionage-Software infiziertes Computernetz, das in die Rechner der Opfer oder der von ihnen geleiteten Institutionen eindrang und auf sensible Daten zugreifen konnte.

"Bei den angegriffenen Computern handelt es sich in vielen Fällen um Systeme, die bezüglich ihrer Bedeutung für die nationale und militärische Sicherheit relevant sind", betonte die römische Untersuchungsrichterin Maria Paola Tomaselli am Dienstag.

Eigene "Dossiers" angelegt

Die Opfer seien zum Teil während mehrerer Jahre ausspioniert worden. Die gestohlenen Daten wurden laut den Ermittlern auf Servern in den USA gespeichert: Unter der Bezeichnung "PoBu" (Politicians Business) seien für jede einzelne der ausspionierten Personen eigene "Dossiers" angelegt worden. Die entsprechenden Server seien inzwischen von der Cyber Division der US-Bundespolizei FBI beschlagnahmt worden.

Zahlreiche Aspekte in dieser Affäre blieben nach der Pressekonferenz mysteriös – angefangen bei den Verhafteten. Von ihnen erfuhr man am Dienstag nur, dass sie in Rom gemeldet, aber in London wohnhaft seien. Medien berichteten außerdem, dass sie in der Hochfinanz der Hauptstadt gut vernetzt seien. Ebenfalls unbekannt ist, welche Daten in den Besitz der beiden Cyberkriminellen gelangt sind.

P2-Erinnerungen

Unklar ist aber insbesondere auch, ob die beiden Verhafteten ihre Spionagetätigkeit auf eigene Rechnung oder im Auftrag anderer ausgeführt haben – und zu welchem Zweck. Auf den verwendeten US-Servern wurde auch eine Dateisammlung mit der Bezeichnung "Bros" (US-Kurzform für "Brüder") entdeckt. Laut der Staatsanwaltschaft enthält sie Angaben über eine Freimaurerloge und deren Mitglieder.

"Das gehäufte Auftauchen bestimmter Adressen lässt vermuten, dass es sich nicht um eine Initiative von Einzeltätern handelt, sondern dass es einen übergeordneten Kontext gibt", sagten am Dienstag die Ermittler und betonten, dass der männliche Täter ebenfalls Freimaurer sei. Damit werden Erinnerungen an die Geheimloge Propaganda 2 (P2) von Licio Gelli wach, die in den Siebzigerjahren weite Teile der italienischen Politik sowie des Militärs, der Sicherheitsapparate und der Geheimdienste infiltriert hatte. (Dominik Straub aus Rom, 10.1.2017)