Ob wir da Schuhe mit "speziellem Profil" verwenden würden, fragte V. Manche Fragen treffen gerade wegen ihrer – auf den ersten Blick – Naivität den Nagel auf den Kopf. V., ich kenne sie auch in der wirklichen Welt, ist eine interessierte, aber nicht versierte Läuferin. Eine, die bei trockenem und schönem Wetter ihre Asphaltrunde dreht. Und ungläubig schaut, wenn man ihr erklärt, dass es nicht nur auch anders geht, sondern sogar ebenso viel bis mehr Spaß macht, unter ganz anderen Bedingungen und auf ganz anderen Böden zu laufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Erklären ist gut. Zeigen ist besser. Menschen wie V. bekommen tellergroße Augen, wenn sie sehen, was alles geht, wenn man läuft. Und sich von Parametern wie "kalt", "windig", "nass" oder "dunkel" nicht schrecken lässt – solange man auf ein paar Grundregeln achtet. Den Griff zum richtigen Werkzeug etwa.

Dass der richtige Schuh da eine nicht unwesentliche Rolle spielt, ist eine der Binsenweisheiten: Mit Flipflops geht man nicht bergsteigen. Mit Skischuhen nicht auf den Philharmonikerball. Und wenn der Blick von der Stadt hinauf zu den Hügeln des Wienerwalds mehr Weiß als sonst was zeigt, wären "Schuhe mit speziellem Profil" vermutlich nicht falsch.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch es geht auch anders. Etwa dann, wenn man aus 1.001 Gründen gerade nur auf die schnellen, leichten und flachen Sommer-Temposchuhe Zugriff hat. Schuhe, an die man nie denken würde, wenn man einen gemütlichen Winterlauf von Döbling auf den Kahlenberg über Cobenzl und Himmelwiese zurück nach Sievering plant.

Nur hatte Helle, meine aus Dänemark gerade auf Weihnachtsheimaturlaub nach Wien gekommene Yoga- und Lauffreundin, halt genau ein Paar Laufschuhe (Asics Gel Fuji Pro) mit. Helle läuft hart. Und schnell. Wenn ich mit ihr mithalten will, pfeife ich da auf Grip – und greife zum Langstrecken-Sommerwettkampfschuh: dem Brooks Racer ST5.

Und siehe da: Das geht. Sehr gut und sehr schön sogar. Ganz ohne "spezielles Profil" – obwohl ich weniger geübten Läuferinnen und Läufern dringend davon abraten würde.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich: Die Wege auf und über den Kahlenberg sind weniger anspruchsvoll, als sie aussehen. Und frischer Schnee ist etwas anderes als jener Mix aus Eis und Gatsch, den Plusgrade bei Tag und Wind und Minusgrade in der Nacht binnen 24 Stunden dann aus dem vorweihnachtlichen Winterwonderland gemacht hatten: Dass ich am Tag nach der Kahlenbergrunde für mein Weihnachtssolo von den Steinhofgründen auf die Jubiläumswarte und über den Heuberg nach Neustift am Walde mit dem Scott Supertrac RC zu einem leichten Trail-Wettkampfschuh griff, erwies sich als das Gegenteil eines Fehlers.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn dort, wo der Schnee tagsüber weich geworden und über Nacht dann wieder bockhart gefroren war, hätte ich mich mit weniger Grip alles andere als wohlgefühlt: Laufen auf und über derartiges Terrain fordert Knöchel und Sprunggelenke, weil sie die kleinen Unebenheiten, Eisgraten und Kanten, denen man auf die Schnelle nicht wirklich ansieht, ob sie halten, wegbrechen oder einfach zur Seite rutschen, ausgleichen müssen.

Abgesehen von der eigenen Balance und Trittsicherheit kommt es da dann darauf an, dass die Sohle sich in das bisserl stabilen Untergrund krallt und der Fuß im Schuh nicht ganz so frei herumschwimmt, wie er es in einem leichten Asphaltschlapfen tun soll und darf.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber vor allem: Ich möchte beim Laufen über derlei nicht nachdenken müssen. Ich laufe, um den Kopf freizubekommen. Um die Landschaft zu sehen. Um Bilder und Eindrücke zu sammeln. Um Spaß zu haben: Wenn ich mir während des Laufens Gedanken über Sprengung, Stütze, Gewicht, Grip oder Führung meines Schlapfens machen muss, habe ich weder Auge noch Kopf für die wesentlichen Dinge des Lebens. Und dann wüsste ich jetzt nicht, dass der Weihnachtsmann heute längst nicht mehr per Rentierschlitten unterwegs ist, sondern am Bike durch den Wald presst.

Freilich: Beim Wunschzettelschreiben, egal ob an Christkind oder Santa Claus, spielt all das Schuhdenken sehr wohl eine Rolle.

Foto: Thomas Rottenberg

Wobei es da auch ein Umdenken braucht: Die meisten Hobbyläufer sind – immer noch – stark gedämpfte Laufschuhe gewohnt. Weil man ihnen erfolgreich eingeredet hat, dass die Härte des Asphalts besser mit batzweichem Schaumgummi als mit vernünftiger Lauftechnik abgefedert wird. Wer da das erste Mal in einen wettkampforientierten Trailschuh steigt, kann sein blaues Wunder erleben: Auf weichem Wald- und Wiesenboden dämpft und federt der Untergrund – auf hartem Winterharsch oder gefrorenem Boden aber nicht. Na und?

Foto: Thomas Rottenberg

Ein anderes Thema, das sowohl beim Traillaufen als auch beim Laufen bei Regen, Nässe oder durch Schnee immer wieder aufkommt, ist die Sache mit den nassen Füßen. In meiner Laufrealität spielt das zwar so gut wie nie eine Rolle – deshalb trage ich kaum je Laufschuhe, die mit einer Gore- oder ähnlichen Membran gegen Wasser, das von der Seite oder von vorne kommt, unempfindlich gemacht worden sind.

In ebendieser meiner Laufrealität eines meist im urbanen Umfeld laufenden Hobbyläufers gibt es deshalb auch fast nie Gelegenheit, Schuhe auszuprobieren, die tatsächlich mit allen Wassern gewaschen sind ...

Foto: Thomas Rottenberg

... respektive: Schuhe, die Wasser und mehr trotzen. Schuhe wie der Salomon S-Lab XA Alpine etwa: Der macht nämlich am Matterhorn und am Klettersteig ebenso gute Figur wie auf der Trailstrecke hinterm Haus. Obwohl: Wenn einer wie ich damit rund um den Grundlsee läuft, ist das ein bisserl so, als würde man mit einem Formel-1-Wagen zum Gemüseeinkauf beim Bio-Greißler fahren. Andererseits: Die höchste SUV-Dichte findet man ja auch nicht in den Bergen, sondern in innerstädtischen Bezirken. So gesehen passt das dann schon wieder – und overequipped durch die Landschaft zu rennen ist allemal besser als mit flachen Temposchuhen über eisige Hügel ... aber ich wiederhole mich.

Foto: Thomas Rottenberg

Den Salomon-Hardcore-Schuh konnte ich um Neujahr am Grundlsee ausprobieren. Doch als wir uns da auf die Runde um den See machten, dachte ich anfangs, dass ich vielleicht doch auch hier die leichten, flachen Sommerwettkampfschuhe mitnehmen hätte können. Oder sollen.

Foto: Thomas Rottenberg

Schließlich ist der Weg entlang der Straße zwischen Gössl und Grundlsee brettleben und flach. Im Winter wird er zum Glück nicht – wie in Städten üblich – so lange gepökelt, bis da nur noch eine grausig-graue Salzsole-Gatsch-Lösung übrig ist, sondern der Schnee wird weggeschoben und und/oder plattgewalzt: Der Boden ist dann stellenweise zwar glatt, aber wer nur eine Spur Gespür in den Füßen hat, kann hier problemlos mit fast jedem Schuh laufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur: Sobald man dann auch nur einen Meter neben den Gehsteig steigt, sieht die Sache ein bisserl anders aus. Flach und eben ist es immer noch. Wirklich rutschig also noch immer nicht. Und das bisserl Schnee, das man mit jedem Schritt aufwirbelt und das sich auf Fesseln oder Schuhe legt, wird abgeschüttelt, bevor es schmelzen und in die Schuhe hineinrinnen kann. Aber dort, wo schon jemand anderer spaziert ist, bilden sich auch bei Traumwetter diese blöden kleinen vereisten Kanten – und so wie ein paar Tage zuvor im Wienerwald gilt dann: Mit einem allzu lockeren, weichen Schuh muss man doppelt bis dreifach aufpassen, nicht doch wegzurutschen oder umzuknöcheln.

Foto: Thomas Rottenberg

Wer tatsächlich rund um den wunderschönen See laufen will, der hat lediglich auf etwa der Hälfte der Strecke diese flache (unter dem Schnee asphaltierte) Gehsteig-Flanierstrecke für den typischen Salzkammergut-Spaziergänger: Das sind die einfachen sechs oder sieben Kilometer von Gössl nach Grundlsee. Rundherum geht es dann eben auf der anderen Seite des Sees zurück: durch den Wald, hügelauf und hügelab. Ein traumhafter Wanderweg mit fantastischen Ausblicken auf eine der schönsten Landschaften der Welt.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber – und das wird schon im Sommer von vielen Halbschuhtouristen unterschätzt – stellenweise ist das hier eben doch kein Spazierweg: Laufen im Wald ist mit Abstrichen dem Skitourengehen nicht ganz unähnlich. So harmlos es auch aussieht, gelten abseits der markierten, geräumten, planierten und gepflegten Pisten oft binnen Sekunden ganz andere Spielregeln, ...

Foto: Thomas Rottenberg

... und während ein Ausrutschen und Umknicken mit – im schlimmsten Fall – einem kaputten Knöchel an der Straße blöd und schmerzhaft ist, aber kein stundenlanges Auskühlen ohne Hilfe zur Folge hat, ist das auf der anderen Seite des Sees eventuell anders: Obwohl es ein Traumtag mit Superwetter war, sind wir hier hinten keinem einzigen anderen Läufer, Wanderer, Spaziergänger oder Waldarbeiter begegnet.

Foto: Thomas Rottenberg

So sehr Wolfgang und ich (der Rest der Gruppe war mangels passenden Schuhwerks auf der Promenade zurückgelaufen) uns über Abgeschiedenheit und Alleinsein freuten, war uns klar, dass das Notfallpackerl im Rucksack (Rettungsdecke, Trillerpfeife, Ersatz-Thermoshirt, Handy mit vollem Akku und ein bisserl Schokolade) in so einem Setting nicht bloß Show ist. Auch wenn wir immer froh sind, das Zeug zu Hause dann unbenutzt wieder auszupacken.

Foto: Thomas Rottenberg

Und auch wenn der von mir verwendete Schuh auf dieser Runde bei weitem nicht an seine Grenzen gebracht wurde, war er hier eben doch in seinem Element: Grip, Grip, Grip – darum geht es dem Fuß auf solchen Strecken. Der Rundumschschutz ist hier dann bloß noch eine nette Zugabe. Eine, die Lust macht, irgendwann einen Schritt weiter zu gehen: Das Material kann es – ich auch?

Foto: Thomas Rottenberg

Aber das Ausloten der eigenen Grenzen war auf diesem Lauf nicht unser Ziel: einmal rund um den Grundlsee. Rund 14 Kilometer mit ein paar Höhenmetern. Mehr hatte ich nicht gesucht – aber viel mehr bekommen: einen Genusslauf bei Traumwetter mit den besten Freunden der Welt in einer der schönsten Gegenden der Welt. Fordernd, aber nicht unbewältigbar. Und "rewarding" – auf 1.001 Art.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn da war noch etwas: Der Lauf war der perfekte, tröstende Abschied von einem Jahr, das für mich läuferisch alles andere als zufriedenstellend gelaufen war. Ein Trail, der mir einmal mehr zeigte, worum es geht, warum ich laufe.

Die grandiosen Ausblicke und zauberhaften Perspektiven sind da nur das Augenscheinlich-Oberflächliche. Die Motivationsmetapher: Das, was wirklich zählt, liegt einen Schritt außerhalb der eigenen Komfortzone. Und auch wenn man nie wirklich weiß, was da wartet oder über einen herfallen wird: Es ist die Mühe wert. Immer.

Mehr Geschichten vom Laufen im Winter gibt es unter derrottenberg.com.

Alle erwähnten Schuhe wurden zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

(Thomas Rottenberg, 11.1.2017)

Foto: Thomas Rottenberg