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Zygmunt Bauman wollte "nur herausfinden, was in der Gesellschaft gerade läuft", wie er 2010 in einem STANDARD-Interview sagte. "Und ich hoffe, dass meine Leser daraus Anregungen ziehen können."

Foto: AP Photo/Heribert Proepper

Leeds/Warschau – Er war einer der prominentesten und zugleich produktivsten europäischen Soziologen der vergangenen Jahrzehnte: Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman, Autor von über 50 Büchern, ist am Montag in seinem Haus im englischen Leeds gestorben. Als hellsichtiger Zeitdiagnostiker hat er Einfluss auf eine Vielzahl soziologischer und gesellschaftspolitischer Debatten genommen.

Bauman befasste sich in seinem langen Leben als Soziologe und linker Intellektueller mit dem Holocaust ebenso wie mit der Globalisierung, dachte über die Migration und den Tourismus nach oder übte Kritik an der Konsumgesellschaft – meist aus neuen, originellen Perspektiven und oft genug mit einem moralischen Impetus. Zwar galt er als Vordenker der Postmoderne, beliebig oder verspielt war sein eigenes Denken aber nie. Das lag wohl auch an seiner Lebensgeschichte und der des 20. Jahrhunderts.

Mehrfache Emigration

Am 19. November 1925 als Sohn einer jüdische Familie im polnischen Poznań geboren, floh er vor der Besetzung durch die Nazis mit seiner Familie in die Sowjetunion und wurde Mitglied bei der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. Über die nächsten Jahre hat er wenig gesagt: jene Zeit zwischen 1944 bis 1953, als Bauman zunächst als Soldat und Politkommissar der Roten Armee diente, und vor allem über jene drei Jahre, als er Geheimdienstoffizier im kommunistischen Nachkriegspolen war.

Diese politische Karriere endete nach Stalins Tod 1953, danach begann die akademische: Bauman studierte Philosophie und Soziologie an der Universität Warschau, nach Promotion und Habilitation leitete er dort das soziologische Institut. Als es 1968 auch im kommunistischen Polen zu Studentenunruhen kam, wurde Bauman dafür mitverantwortlich gemacht. Der Antisemitismus tat ein Übriges, weshalb er eine Professur in Haifa annahm.

Bald machte sich Bauman aber auch in Israel unbeliebt, weil er die Palästinenserpolitik öffentlich kritisierte. 1971 übersiedelte er nach Leeds, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 Professor blieb, weitere 25 Jahre lang zahlreiche Bücher schrieb und wo er nun im Alter von 91 Jahren starb.

Moderne und Postmoderne

Baumans im deutschsprachigen Raum vielleicht bekanntestes Werk ist seine 1989 erschienene Studie "Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust". In diesem Buch denkt Bauman da weiter, wo die "Dialektik der Aufklärung" von Adorno und Horkheimer endet: Der Soziologe sieht die Grausamkeit des Holocaust gerade nicht als einen Zusammenbruch der Moderne, sondern vielmehr erst ermöglicht durch die Errungenschaften der modernen Zivilisation, also durch Rationalität und Industrialisierung.

In den 1990er Jahren prägte Bauman dann den Begriff der flüchtigen oder liquiden Moderne. Damit beschrieb er anhand verschiedenster Beispiele eine zerbrechliche und von der Globalisierung geprägte Welt, die auch menschliche Beziehungen zu etwas Ephemerem macht. In einem STANDARD-Interview nahm der Soziologie bereits 2010 hellsichtig das ganze Dilemma der Migrationsproblematik vorweg: "Migration ist ein globales Problem, für das man lokale Lösungen sucht. Aber das ist heute nahezu unmöglich geworden."

Das Hauptproblem sah er damals schon darin, "dass aus dem Ressentiment gegenüber Migranten so viel politisches Kapital zu schlagen ist. Es geht da gar nicht so sehr darum, wie viele Stimmen die Rechtsparteien kriegen, sondern wie sehr sich die anderen Parteien verändern und den Job der Rechten machen." Dabei wollte er kein Prophet sein, "sondern nur herausfinden, was in der Gesellschaft gerade läuft. Und ich hoffe, dass meine Leser daraus Anregungen ziehen können."

Preise und Störungen

In Deutschland galt Ulrich Beck als wichtiger Förderer von Baumans (Post-)Moderne-Theorie; Beck war es auch, der 2014 die Laudatio auf Bauman hielt, als dieser von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem Preis für ein "hervorragendes wissenschaftliches Lebenswerk" geehrt wurde. Davor hatte Bauman fast alle wichtigen internationalen Soziologie-Preise erhalten: den Amalfi-Preis (1989), den Theodor-W.-Adorno-Preis (1998) sowie 2010 den Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie Kommunikation und Humanwissenschaften.

2013 verweigerte Bauman die Annahme der Ehrendoktorwürde der Universität Breslau: Rechtsextreme hatten eine öffentliche Debatte mit ihm durch Zwischenrufe eskalieren lassen. Etwas Ähnliches passierte dem großen Soziologen bei seinem letztem Auftritt in Wien im Frühjahr 2015, als sein Vortrag im Wien-Museum ebenfalls durch rechte polnische Zwischenrufer gestört wurde. (Klaus Taschwer, 9.1.2017)