"Die Leute fühlen sich ohnmächtig, sie haben das Gefühl, dass die Politik an ihrer Lebensrealität vorbeigeht", sagt die Nachwuchsgrüne Flora Petrik. "Da kann ich auch die Grünen nicht ausnehmen."

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie rühmen sich zum Antritt, einen Beitrag für die Wahl Alexander Van der Bellens und damit gegen einen Rechtsruck geleistet zu haben. Schmücken Sie sich da nicht mit fremden Federn, zumal die Jungen Grünen über VdB zuvor ziemlich hergezogen sind?

Petrik: Wir tun ja nicht so, als hätten wir das allein geschafft. Natürlich wäre der Wahlsieg nicht möglich gewesen, wenn nicht Menschen aus allen möglichen Lagern gelaufen wären, von denen viele vorher noch nie ein Flugblatt verteilt hatten. Aber einen enormen Beitrag haben auch wir als Junge Grüne geleistet.

STANDARD: Tatsächlich? Aufgefallen sind die Jungen Grünen mit harscher Kritik: "Van der Bellen versteckt seine neoliberalen Standpunkte hinter Pseudoexpertentum." Er sei "der ideale Kandidat für Raiffeisen und Co" und "Repräsentant des selbstgefälligen und autoritären Parteiensystems Österreichs". Gilt das nun nicht mehr?

Petrik: An der Kritik ist immer noch etwas dran. All das wurde aber nebensächlich, als es darum ging, einen Rechten als Bundespräsidenten zu verhindern. Spätestens seit der Stichwahl sind die Jungen Grünen alle für Van der Bellen gelaufen bis zum Gehtnichtmehr: Wir haben 300.000 Flyer verteilt – das war die größte Kampagne einer grünen Jugendorganisation in ganz Europa. Trotzdem war es wichtig, die Vorbehalte auszusprechen.

STANDARD: Wieso? Das hätte dem Kandidaten ja schaden können.

Petrik: Wir sind immer noch eine politische Jugendorganisation. Uns geht es nicht um Stimmenmaximierung, wir dürfen uns Inhalten widmen, was bei den Grünen in den letzten Jahren eh zu kurz gekommen ist. In der Euphorie um Van der Bellen hätte das sonst niemand gemacht. In der Politik gibt es eben manchmal Widersprüche und das geringste Übel, mit dem man sich abfinden muss.

STANDARD: Ist Van der Bellen ein geringstes Übel?

Petrik: Für viele seiner Wähler war er das, für mich ist er aber mehr: Er ist ein guter Bundespräsident, der vernünftig an die Sache herangeht. Außerdem war die Kritik im Kern nicht persönlich auf Van der Bellen gemünzt.

STANDARD: Auf wen oder was denn sonst?

Petrik: Auf das kaputte Parteiensystem, in das so viele Menschen das Vertrauen verloren haben. Die Leute fühlen sich ohnmächtig, sie haben das Gefühl, dass sie nicht gehört werden und die Politik an ihrer Lebensrealität vorbeigeht. Da kann ich auch die Grünen nicht ausnehmen.

STANDARD: Inwiefern?

Petrik: Die Grünen sind definitiv nicht so verkrustet wie SPÖ und ÖVP, und sie haben in den letzten Jahren auch wahnsinnig viel geschafft: Sie haben ihre Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert, das war sehr wichtig. Doch vor lauter Rücksicht auf das Marketing laufen die Grünen Gefahr, ihre politische Linie zu verwässern und abgehoben zu sein. Ich denke da etwa an das Eva-Magazin, das junge Menschen als unpolitische Teenies abstempelte, oder die "Bio macht schön"-Kampagne vor der letzten Nationalratswahl. In Zeiten, wo eine Million Menschen in Österreich armutsgefährdet sind und sich viele trotz Arbeit Sorgen machen müssen, wie sie die Miete zahlen können, kann ich so eine Politik nur abgehoben nennen.

STANDARD: Man könnte nun einwenden: Die meisten Armutsgefährdeten werden so oder so nicht grün wählen.

Petrik: Es kann aber nicht Aufgabe einer Partei sein, nur Politik für jene zu machen, die sie wählen. Trotz des Drangs zum Mitregieren dürfen die Grünen nicht in den Debatten über Ungleichheit und Umverteilung einknicken. Da muss die Position deutlich klarer werden, da gibt es viel Luft nach oben. Regieren ist kein Selbstzweck, es geht es darum, Forderungen durchzusetzen.

STANDARD: Wo sind die Grünen eingeknickt?

Petrik: Mich ärgert zum Beispiel, dass es in Vorarlberg trotz schwarz-grüner Landesregierung Bettelverbote gibt. Zum Glück handelt es sich bisher nur um Einzelfälle, aber auch die kosten die Partei einiges an Vertrauen.

STANDARD: Auch der grüne Altstar Peter Pilz beschwört die soziale Frage: Hat er recht, wenn er einen linken Populismus fordert?

Petrik: Ich halte nichts von diesem Begriff, denn Populismus hat in rechter Ausprägung zu 50 Prozent für Norbert Hofer geführt. Aber dass den Grünen eine Strategie fehlt, was sie als Parteien wollen, glaube ich auch. Dass dies dann allerdings zwei Tage nach der Präsidentenwahl öffentlich ausgetragen wird, ist symptomatisch: Es mangelt den Grünen an Debattenkultur. Ich wünsche mir weder, dass sich ein paar alte Männer profilieren, noch das Prinzip, dass es sofort von oben eine auf den Deckel gibt. Da läuft auf beiden Seiten etwas falsch.

STANDARD: Agiert Parteichefin Eva Glawischnig zu autoritär?

Petrik: Das kann ich nicht beurteilen, es kann auch umgekehrt sein. Vielleicht will sie den Dialog, hat aber nicht die politische Autorität, diesen durchzusetzen. Bezeichnend ist: Eva Glawischnig hat uns als Junge Grüne seit Jahren nicht mehr getroffen. Es gibt bei den Grünen einfach keine Orte und Anlässe für Diskussionen auf Augenhöhe. Die Partei muss sich dringend öffnen. (Gerald John, 10.1.2017)