Es gibt kaum einen Staat in Europa mit stärkerer traditioneller Russland-Sympathie und ausgeprägterem historischem Dankbarkeitsgefühl als Bulgarien. Vor dem Parlamentsgebäude in Sofia steht eine Statue Zar Alexanders II. als Befreier vom "Osmanen -Joch". Auch die benachbarte Alexander-Newski-Kathedrale wurde vor mehr als hundert Jahren zur dankbaren Erinnerung an den Russisch-Türkischen Krieg 1877-78 errichtet.

Deshalb sollten die scharf formulierten Warnungen des bulgarischen Präsidenten Rossen Plewneliew im ausführlichen Interview mit der FAZ (7. 12.) vor Versuchen des Kremls, die EU von innen auszuhöhlen, besonders beachtet werden. Der ehemalige Bauunternehmer, der nach fünfjähriger Amtszeit in zwei Wochen abtreten wird, hat immer wieder Kritik an Russland geäußert. In einer Zeit, als die Gefahr des stets wachsenden russischen Einflusses in Europa kleingeredet wird, warnte er vor allem vor der russischen Unterstützung ultranationalistischer, antieuropäischer Parteien.

Der populäre bulgarische Politiker, der zwischen 2009 und 2011 auch als Minister für regionale Entwicklung der bürgerlichen Borissow-Regierung angehört hatte und im Gegensatz zu den meisten Balkanpolitikern ausgezeichnet Deutsch spricht, genießt hohe Wertschätzung in Deutschland und Österreich. Im Interview, wie auch vor zwei Jahren in einem ähnlichen Gespräch mit FAZ-Korrespondent Michael Martens und vor einiger Zeit bei einer ORF-TV-Diskussion nahm Plewneliew auch diesmal kein Blatt vor den Mund.

Den Thesen, mit denen die Gefahr, die von Putins aggressiver Strategie ausgeht, heruntergespielt wird, widerspricht er deutlich. Einst habe die Sowjetunion kommunistische Parteien in den westlichen demokratischen Staaten organisiert und finanziert. "Jetzt passiert Ähnliches: Die Führung in Moskau versucht auf einer neuen ideologischen Grundlage dasselbe Ziel zu erreichen: die Schwächung Europas und Verbreitung von Zweifeln an den Werten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit." Der mutige Mann hat bereits vor einigen Jahren erstmals vor den Desinformations- und Cyberkriegsspezialisten Moskaus gewarnt: "Europas stärkste Waffe ist die Demokratie, der Rechtsstaat und die Tatsache, dass wir in der EU einen Raum geschaffen haben, in dem die Menschen frei sind", so Plewneliew, der auch einzelne EU-Mitgliedstaaten kritisiert, die, "um kurzfristige wirtschaftliche und politische Vorteile davon zu haben", von einer gemeinsamen europäischen Linie gegenüber Russland abweichen.

Wenn auch Plewneliew keine Staaten namentlich genannt hat, dürfte zu diesem Kreis wohl auch Ungarn gehören, dem Wladimir Putin Anfang Februar, zum zweiten Mal in zwei Jahren, einen Freundschaftsbesuch abstatten wird. Premier Viktor Orbán, der 1989 seine politische Karriere mit einer scharf antisowjetischen Rede angefangen hatte, gilt heute als aufrichtiger Bewunderer und Geschäftspartner Putins. Er ist freilich nicht allein: Auch Donald Trump und seine engsten Mitarbeiter scheinen diesem Klub anzugehören. Der offenherzige, überzeugte EU-Freund und Putin-Kritiker Plewneliew dürfte in der verkehrten Welt Mittel- und Osteuropas eine Ausnahme bleiben. (Paul Lendvai, 9.1.2017)