Die Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer wurde vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur Wissenschafterin des Jahres gewählt.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Es sei erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis die Medizin erkannt hat, dass sich Krankheiten bei Frauen anders manifestieren als bei Männern, sagt die Ärztin Alexandra Kautzky-Willer. Jahrhundertelang war der Prototyp medizinischer Studien weiß, männlich, 35 Jahre alt und 80 Kilogramm schwer. Medikamente, künstliche Gelenke und Prothesen wurden ausschließlich an ihm getestet. Erst mit dem Aufkommen der Frauenbewegung und bahnbrechender Forschungsergebnisse amerikanischer Kardiologinnen in den 1980er-Jahren wandelte sich das.

Alexandra Kautzky-Willer engagierte sich schon früh für die Förderung und Bekanntmachung dieses noch relativ jungen Wissenschaftszweigs. Nun wurde die 54-Jährige vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur Wissenschafterin des Jahres gewählt. Die Fachärztin für innere Medizin mit Spezialgebiet Diabetes und Endokrinologie forschte unter anderem zu Schwangerschaftsdiabetes und Insulinresistenz und kam so zur geschlechtssensiblen Medizin. 2010 erhielt sie den ersten Lehrstuhl für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien. "Natürlich spielen Hormone in der Gendermedizin eine entscheidende Rolle", sagt die Ärztin. Sie hätten nicht nur Einfluss auf die Fortpflanzung, sondern auf alle Organe, auf das Immunsystem genauso wie auf den Stoffwechsel und auf das Herz-Kreislauf-System. Neben der Biologie wirken sich auch die Lebensumstände unterschiedlich auf die Gesundheit von Frauen und Männern aus.

Schon als Mädchen wollte Kautzky-Willer Forscherin und Ärztin werden. Über ihre Eltern hatte sie Kontakt mit gehörlosen Kindern, der Vater war Direktor des Gehörloseninstituts, die Mutter Sonderschullehrerin. Damals träumte sie davon, ein Mittelchen zu entwickeln, das gehörlose Kinder wieder hörend machen würde. Die Verbindung von Forschung, Lehre und Klinik sei ihr schon immer sehr wichtig gewesen. Und: Sie könne sich nicht vorstellen, sich auf einen Bereich zu beschränken. Daher würde ihr die Interdisziplinarität der Gendermedizin sehr entsprechen. Dass ihr Sohn ebenfalls Arzt geworden ist, freut sie besonders. Sein Spezialgebiet ist die Hirnforschung. Ihr Mann ist übrigens HNO-Arzt.

"Gendermedizin ist von Anfang an von Frauen getragen worden, aber das ändert sich jetzt", sagt Kautzky-Willer. Unter den Studierenden gebe es zunehmend auch männliche Interessierte. (Christine Tragler, 9.1.2017)