Geht mit Komik an die Tragik heran: Tom Coraghessan Boyle.

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Wien – Die scheinbare Idylle ist eine zutiefst künstliche: Das Zirpen der Grillen gäbe es nicht ohne das Surren der Luftumwälzpumpen, das Quaken der Frösche nicht ohne das Rauschen der Wellenmaschine. Sie halten ein empfindliches Werkl am Laufen, von dem T. C. Boyle in seinem neuen Roman Die Terranauten erzählt: ein Biosphärenexperiment, ein futuristischer Garten Eden, eine Arche Noah 2.0, eine neue Zivilisation.

Sein Schauplatz ist ein riesiger Glassturz in der Wüste von Arizona, unter ihm nachgebaut wurde eine Welt im Kleinen: Wüste, Meer, Regenwald, Anbaugebiete. "Biome" heißen diese Zonen in der Fachsprache der darin für 24 Monate eingesperrten vier Männer und vier Frauen. Sie selbst tragen so wichtig klingende Titel wie Technosphärensupervisor und Kommunikationsoffizier, mussten Vorbereitungskurse in Zahnmedizin besuchen oder tauchen lernen. Denn ihr Überleben in "Ecosphere 2" hängt allein von ihrem Erfolg im Bepflanzen der Felder, Ernten der Baumfrüchte und in der Nutztierzucht ab. "Nichts rein, nichts raus", lautet das Motto.

Zwar ist der ökologische Untergang noch nicht gekommen. Es sollen die titelgebenden Helden allerdings die Vorhut für eine Besiedelung des Weltraums sein. Oder zumindest für ein Leben auf der Erde, nachdem diese von Klimawandel, der Neige natürlicher Ressourcen und allerlei Krankheiten ("die Apokalypse schwärt in unserem Blut") unwirtlich geworden sein wird. "Prophetisch", lobt der Verlag pflichtschuldig.

Vom Aufhänger zum Wälzer

In den letzten 30 Jahren hat der US-Autor über ein Dutzend Romane geschrieben. Über Afrikaexpeditionen, Marihuana-Pflanzer in Kalifornien, mexikanische Einwanderer in die USA, über eine Hippiekommune in Alaska, über den Architekten Frank Lloyd Wright, das Leben auf einer Insel vor der Küste Kaliforniens vor 100 Jahren... Ein historischer Stoff oder eine solche Persönlichkeit als Aufhänger, unterfüttert mit gründlichen Recherchen und ausstaffiert mit jeder Menge erzählerischer Liebe zum Detail haben aus ihnen nicht nur jeweils Wälzer gemacht. Sondern auch Publikumserfolge.

Diesem offenen Erfolgsgeheimnis bleibt der 68-Jährige treu. Was in Die Terranauten nach bester Sci-Fi klingt, hat so Anfang der 1990er tatsächlich stattgefunden. Beide damaligen Anläufe, die Teilnehmer im abgeschlossenen Ökosystem namens Biosphere 2 leben zu lassen, scheiterten jedoch an Mangelernährung und zu wenig Sauerstoffgehalt der Luft.

Damit haben auch Boyles Protagonisten – die Handlung spielt zur gleichen Zeit – zu kämpfen. Wie bemühen sich die Terranauten anfangs noch, aus den Kuppelerzeugnissen frugale Festmähler zu zaubern! Bananen lassen sie zu Alkohol vergären. Irgendwann aber werden Erdnussschalen, die ihnen als Pokerwährung dienen, bereits mitsamt der Frucht verspeist, als wertvolle zusätzliche Kalorien. Und sie sind angehalten, zwecks PR für die Presse und Besuchergruppen zu posieren. Natürlich begleitet die hehre Absicht nämlich ein Businessplan.

Zu viel des Zwischenmenschlichen

Aber Boyle gewichtet nicht dementsprechend. Ebenso hochinteressante technische Aspekte – welche Pflanzen und Tiere wählt man zum Beispiel aus, um ein neues, sparsames und dennoch überlebenssicherndes Ökosystem zu besiedeln? – finden sich bald nur mehr in Nebensätzen. Stattdessen plagen die acht, oft nennen sie sich selbst "Gefangene", zunehmend zwischenmenschliche Empfindlichkeiten. Natürlich, schließlich ist das Biosphären- auch ein Soziosphärenexperiment! Deren Ursachen liegen allerdings nicht etwa in der Arbeitsteilung oder in einem Lagerkoller, sondern in banalen sexuellen Verstrickungen. Allzu weidlich tut Boyle sich an diesem Konfliktpotenzial. Er gerät damit schrecklich unterkomplex.

Dies lässt sich zwar immerhin noch damit argumentieren, dass die Geschichte abwechselnd von drei Figuren erzählt wird: Dawn und Ramsay, die in der Kuppel sitzen, und Linda, die es nicht in die Crew geschafft hat, jene aber für die Führungsriege des Experiments bespitzelt. In "persönlichen offiziellen Berichten" schauen sie auf die Ereignisse zurück. Doch leider hat keine dieser drei Stimmen etwas Interessantes an sich oder zu sagen.

Das macht die 600 Seiten – bei aller Leichtgängigkeit und einlullenden Erzählfülle – unbefriedigend leer. Der als quasireligiös beschriebenen Organisation (ihr steht ein schmunzelnd "Gottvater" genannter Milliardär vor) fehlt es an zu erwartender Härte. Die Komik ist platt. Und das Setting der Handlung vor 20 Jahren schmeckt angesichts von Internet und anderen Entwicklungen in Technik, Gentechnik, Medizin und Co seither mehr als schal. Nicht bloß, weil die Überwachungskameras in der Kuppel offenbar nicht einmal über Mikrofone verfügen. Aus der womöglich zukunftssichtigen Anlage wird damit letztlich recht bedeutungsleer Spleeniges. (Michael Wurmitzer, 9.1.2017)