Nach jedem Terroranschlag in Europa gibt es den gleichen Reflex: Eine Ausweitung der Überwachung wird gefordert. Was aber Innenminister Wolfgang Sobotka als zentrales Vorhaben für 2017 ankündigt, ist mehr: Das ist in Konsequenz eine lückenlose Überwachung aller, die sich in Österreich aufhalten. Ganz egal, ob sie bisher unbescholtene Bürger waren oder schon einmal mit einem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Jede und jeder steht unter Generalverdacht. Wer mit dem Auto durch die Lande fährt oder sich auf einem öffentlichen Platz aufhält, läuft Gefahr, ins Visier von Fahndern zu geraten, sollten diese Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden.

Wohl wissend, dass ein Großteil der privaten Videoüberwachungsmaßnahmen von Privatpersonen einen Verstoß gegen das Datenschutzrecht darstellt, der meist nicht geahndet wird, will er diese Kameras nicht nur passiv tolerieren, sondern sogar aktiv nutzen. Mehr als eine Million Kameras gebe es, die man in Serie schalten könne, schwärmt der ÖVP-Minister. Dazu kommen auch noch die Kameras der Asfinag, die Material liefern und zur Kfz-Kennzeichenerfassung beitragen sollen. Die erschrockene Reaktion des Autobahnbetreibers zeigt, dass sich der Minister bei dem Unternehmen, das eine Gesellschaft des Bundes ist, gar nicht erkundigt hat, ob dies technisch derzeit möglich ist.

Die Frage, ob das sinnvoll ist, hat sich der Minister offensichtlich auch nicht gestellt. Denn sein Verweis auf Großbritannien, das mit bis zu sechs Millionen Aufnahmegeräten als eines der weltweit am stärksten mit Kameras überwachten Länder der Welt gilt, hätte ihn von seinem Vorschlag abbringen können. Scotland Yard hat bereits 2010 festgestellt, dass diese Form der Überwachung "ein völliges Fiasko" sei. Der Beitrag zur Aufklärung von Verbrechen sei minimal, die Polizei ertrinke in einer Bilderflut.

Die Kontrolle der Uferpromenade in Nizza mit Kameras konnte die Lastwagenattacke vom vergangenen Juli mit 86 Toten nicht verhindern. Auch der Terroranschlag von Berlin hätte durch mehr Videoüberwachung nicht verhindert werden können. Die Polizei wusste genug über Anis Amri, konnte aber ihre Informationen nicht richtig einordnen. Nicht der Mangel an Informationen, sondern das Herausfiltern des Relevanten aus deren Fülle ist nach Ansicht vieler Ermittler das Problem. Auch schärfere Gesetze können solche Taten nicht verhindern, wenn bereits vorhandene Möglichkeiten in einem Rechtsstaat nicht ausgeschöpft werden. Ob sich ein "Gefährder" wegen einer Fußfessel von einem Selbstmordattentat wirklich abbringen lässt?

Sobotkas Pläne, der auch Lauschangriffe im Auto erlauben will, widersprechen außerdem der Rechtsmeinung des Europäischen Gerichtshofs. Die Richter kippten kurz vor Weihnachten die Vorratsdatenspeicherung, die auch als Antiterrormaßnahme eingeführt wurde, mit der Begründung, dies sei ein zu "gravierender Eingriff in die Grundrechte". Wie Daten missbräuchlich verwendet werden, zeigte sich jüngst im US-Wahlkampf.

Sobotka setzt auf eine Mischung aus Metternichs und Orwells Praktiken im 21. Jahrhundert: Das Auge und das Ohr des Staates sind überall, aus einer Vernetzung von Daten können Rückschlüsse auf jeden Einzelnen gezogen werden. Dieser Preis ist zu hoch: nur um die gefühlte Sicherheit zu erhöhen, alle Bürger ohne Anlass unter permanente Überwachung zu stellen. (Alexandra Föderl-Schmid, 6.1.2017)