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Die deutsche Kanzlerin beim G7-Gipfel in Japan im Mai 2016.

Foto: AP Photo/Carolyn Kaster

STANDARD: Wie lautet das oberste Gebot, wenn frau politisch erfolgreich sein möchte?

Meyer: Prinzipiell gilt: Die Person muss glaubwürdig sein, zu ihren Positionen stehen, ihre Partei führen können und in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger die Ausstrahlung haben, dass sie dem Amt gewachsen ist. Da macht es keinen Unterschied, ob diese Person Mann oder Frau ist.

STANDARD: Welche Rolle der Faktor Frau spielt, wurde zuletzt erneut im US-Wahlkampf diskutiert. Welche Rolle spielt er in der Politik?

Meyer: Derzeit erleben wir die Rückkehr der alten Herren: In den USA, in Russland, der Türkei sehen wir das Erstarken des klassisch-männlichen Führertyps, der gern über die Stränge schlägt, etwas vorlaut und autoritär ist. Männer können sich das erlauben. Frauen hingegen können sich die traditionell-klassische weibliche Rolle in der Politik nicht erlauben. Deswegen müssen Frauen etwas männlicher daherkommen, um in der Politik zu bestehen.

STANDARD: Warum?

Meyer: Weil sich die Bürger das von einer Führungsperson erwarten. Stellen Sie sich vor, Frau Merkel würde auf dieselbe Weise von der normalen Erwartung fraulich abweichen wie es etwa Donald Trump in die andere Richtung macht. Das wäre geradezu grotesk.

STANDARD: Was muss Angela Merkel noch anders machen?

Meyer: Erstaunlicherweise wird bei Frauen immer gleich über Anzug und Frisuren geredet. Deshalb müssen Kleidung und Haare bei Frauen immer relativ unauffällig sein. Als etwa die deutsche Verteidigungsministerin Von der Leyen mal ihre Frisur geändert hat, war das ein Riesenthema in Deutschland. Bei Männern ist das nicht der Fall. Frauen können Farben einsetzen, sich durchaus prägnant kleiden, müssen dabei aber möglichst unauffällig bleiben, weil sich das bei Frauen immer sofort in den Mittelpunkt drängt und damit der eigentlichen politischen Botschaft schadet.

STANDARD: Was geht gar nicht?

Meyer: Kein Rock, keine Rüschenblusen, keine langen Stiefel, keine ausladenden Schals. Die Grünen etwa können das machen, aber für Führungspersonal, das Kanzlerformat hat, ist ein unaufgeregter Businesslook richtig.

STANDARD: Ihr Job ist ein guter Gradmesser dafür, wie es um das Frauenbild der Gesellschaft steht.

Meyer: Das stimmt. Allerdings ist das Frauenbild der Gesellschaft auch ein sehr breites. Die Kleidung von hohen Führungspersönlichkeiten strahlt unterbewusst Botschaften aus: Sie muss klar sein, eng sitzen, Stärke, Entschlossenheit, Gradlinigkeit zeigen. Da passen Rüschenblusen überhaupt nicht dazu.

STANDARD: Beraten Sie heute eine Frau anders, als Sie es vor zehn Jahren gemacht haben oder vielleicht in zehn Jahren machen werden?

Meyer: Das hat sich schon verändert. Frauen in Politik und in Führungspositionen haben sich früher etwas weiblicher angezogen. Heute hat sich ein schlichter Jil-Sander-Business-Look herausgebildet, der für Frauen sehr vorteilhaft ist. Wer davon abweicht, wirkt schnell betulicher als Frau. Einer Frau wird das immer mehr zur Last gelegt, als bei einem Mann eine schlecht sitzende Krawatte kritisiert wird. Männer sind in der Regel viel schlechter gekleidet als Frauen, aber es stört keinen. Bei Frauen wird viel kritischer hingeschaut.

STANDARD: Wer ist hier eigentlich kritischer: Frauen oder Männer?

Meyer: Tritt eine Kandidatin im Wahlkampf mit wallendem Haar, roten Lippen, Ausschnitt auf – und selbst, wenn sie wahnsinnig klug ist und toll reden kann: Männer werden sie als Bedrohung empfinden. Deshalb haben alle gut aussehenden Frauen in der Politik Schwierigkeiten. Wir leben noch immer in Rollenmustern: Wenn eine Frau was wird und dann auch noch gut aussieht, dann wird das als doppelte Bedrohung empfunden. Für Frauen gilt das übrigens auch. Die reagieren allerdings eher neidisch, was zu Abwertung führt. Deshalb sehen Führungspersonen in der Regel meist durchschnittlich aus: Weil so weniger Bedrohung entsteht.

STANDARD: Ist es das Klischee, wie eine Frau zu sein, das Politikerinnen Probleme macht? Galt bei der Bewertung einiger Eigenschaften von Hillary Clinton ein anderer Maßstab, weil sie eine Frau ist?

Meyer: Hillary Clintons Image hat sich über Jahrzehnte aufgebaut, das wird man so schnell nicht los. Wahlkämpfe können nur sehr wenig korrigieren, sie mobilisieren eher zuvor eingesammelte Einstellungen. Trump hat nicht gewonnen, sondern Clinton hat verloren, weil sie die Ressentiments, die sich über Jahre aufgebaut haben, nicht einfangen konnte.

STANDARD: Sie sind 2013 mit der berühmt gewordenen Merkel-Raute in den Wahlkampf gegangen. Was muss Merkel 2017 für den Sieg tun?

Meyer: Merkel muss vor allem eines machen: Merkel bleiben. Sie muss genauso ruhig, abwägend, nicht vorpreschend, bedächtig bleiben. Und sie muss einen inhaltlichen Spagat schaffen zwischen einer eher konservativen Partei und einer Wählerschicht, die vor allem aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das ist ein schwieriger Spagat, weil es in diesem Wahlkampf Angriffe von beiden Seiten gibt. Sie muss also weiter unaufgeregt auftreten, moderierend, ohne sich immer als Erste zu Wort zu melden, der Fels in der Brandung sein, während ihre Partei darauf achten muss, dass abtrünnige Protestler auf der Rechten nicht zur AfD wandern.

STANDARD: Ist Merkels Herangehensweise eine typisch weibliche?

Meyer: Dieser weibliche Führungsstil von Merkel ist ihr Erfolgsgeheimnis. Wer sie trifft, erlebt sie als sehr ruhig, sachlich und auch sehr herzlich. Sie lässt alle zu Wort kommen, sorgt auch dafür, dass alle zu Wort kommen. Sie schafft eine gute Atmosphäre und entscheidet dann auf Basis von Fakten und Interessen. Aber erst, nachdem sie zugehört hat. Das ist ganz anders als die typisch männliche Herangehensweise.

STANDARD: Reicht es für rechte Parteien wie die AfD oder Frankreichs Front National, dass eine Frau den Vorsitz übernimmt, damit sie automatisch als freundlicher gelten?

Meyer: Ist eine Frau an der Spitze einer Partei, dann wirkt diese immer sofort weniger hart. Für viele, die mit einer Partei sympathisieren, sich aber nicht trauen, sich zu der Sympathie zu bekennen, ist das oft eine Erleichterung. Wenn eine Frau sehr harte Botschaften formuliert, dann sind sie am Ende doch weicher als bei einem Mann. (Anna Giulia Fink, 5.1.2017)