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Jugendliche Besucher im Nationalrat auf der Besuchertribüne. 21,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben derzeit Migrationshintergrund.

Foto: AP/Hans Punz

Alev Korun verdankt den Einstieg in die Politik einer Portion Frechheit. Auf den Tipp einer Freundin hin spazierte die damals 21-jährige Politikstudentin ins Büro der Innsbrucker Grünen und eröffnete den perplexen Mitarbeitern: "Ich habe gehört, ihr braucht mehr Migrantinnen. Hier bin ich." Der Rest ist Geschichte: 2008 zog Korun in den Nationalrat ein – sie gilt hierzulande als erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund.

Heute geht die türkischstämmige Korun immer noch als Exotin durch: Auf höherer politischer Ebene sind Zuwanderer massiv unterrepräsentiert. Weisen laut Statistik Austria 21,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung Migrationshintergrund auf, so beträgt der Anteil in Nationalrat, Bundesrat und den neun Landtagen laut aktueller Recherche der Medienservicestelle Neue Österreicher/-innen (MSNÖ) nur 3,95 Prozent. Das sind 27 von insgesamt 684 Abgeordneten.

Dabei legt die MSNÖ sogar einen großzügigen Maßstab an. Als Migrationshintergrund gilt bereits, wenn ein Elternteil im Ausland geboren ist. Laut Definition der Statistik Austria hingegen muss dieses Kriterium auf beide Elternteile zutreffen.

Zögerlicher Zuwachs

Aber auch so zeigen die im November und Dezember des alten Jahres in den Parteiklubs erfragten Daten nur einen schleppenden Zuwachs an Migranten. Seit Ende 2013, als die Medienservicestelle zuletzt nachgeforscht hat, kamen in Summe vier Abgeordnete dazu.

Bei konstant sechs Mandataren liegt die Quote im Nationalrat, der seither nicht neu gewählt wurde. Die Sozialdemokratin Nurten Yılmaz und die kurdischstämmige Grüne Aygül Berîvan Aslan kommen ebenso wie Korun aus der Türkei. Der ÖVP-Abgeordnete Asdin El Habbassi hat einen Vater aus Marokko, seine Parteikollegin Kathrin Nachbaur verfügt über deutsche Wurzeln. Neos-Mann Christoph Vavrik hat eine französische Mutter, aber auch eine Karriere mit Ablaufdatum: Er soll nach einem homophoben Posting laut Ankündigung seiner Partei bald abtreten.

Einsam wurde es für Mandatare mit Migrationshintergrund im Bundesrat: Die in Polen geborene Grüne Ewa Dziedzic ist ein Unikat. 2013 saßen in der Länderkammer noch zwei Mandatare mit Migrationshintergrund, 2011 drei.

In den neun Landtagen Österreichs, von denen seit 2013 fünf neu gewählt wurden, gab es hingegen einen Anstieg von 15 auf 20 Abgeordnete. Mehr als die Hälfte davon, nämlich elf, sitzen im hundertköpfigen Wiener Landtag. Jeweils zwei Abgeordnete mit Migrationshintergrund bereichern die Landtage von Salzburg, Oberösterreich und Vorarlberg, Einzelexemplare gibt es in der Steiermark, Tirol und seit der Wahl von 2015 auch im Burgenland.

Fehlanzeige hingegen in Niederösterreich und Kärnten: Die dortigen Klubs meldeten keinen einzigen Mandatar. SPÖ und Grüne Kärntens weisen aber darauf hin, dass dennoch mehrsprachige Vertreter im Landtag sitzen – Kärntner Slowenen, die freilich keine Migranten sind.

Eine Null der ÖVP in den Ländern

Eine länderübergreifende Null verbucht die ÖVP: Sie stellt in den Landtagen die meisten Abgeordneten aller Parteien, doch die MSNÖ-Rechercheure fanden keinen einzigen mit Migrationshintergrund; die beiden schwarzen nationalen Parlamentarier sind allein auf weiter Flur. Die FPÖ kommt in Nationalrat, Bundesrat und Landtagen auf vier Abgeordnete, die SPÖ ebenso auf zehn Vertreter wie die insgesamt deutlich kleinere grüne Partei, die mit der griechischstämmigen Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou überdies eine langjährige Regierungspolitikerin stellt.

Die Grünen hätten als erste Partei die alte Illusion verworfen, dass Zuwanderer nur zum Arbeiten im Land seien, erklärt die Pionierin Korun die Vorreiterrolle und verweist auf historische Versäumnisse. Bis 2006 wurde Ausländern in Österreich das passive Wahlrecht zum Betriebsrat versagt, erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs kippte das Verbot. Dadurch sei lange Zeit ein wichtiges Forum verschlossen geblieben, in dem sich "das Handwerk der Politik" erlernen lasse, sagt Korun.

Im Gegensatz zu Deutschland seien Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande deshalb kaum in den höheren Etagen der Arbeitnehmervertretungen zu finden, sagt der Migrationsforscher Bernhard Perchinig: Die Gewerkschaft habe in dieser Frage "versagt" – was sich auf die mit ihr verbundene SPÖ durchschlägt. Dass die ÖVP diesbezüglich keinesfalls durchmischter ist, erklärt Perchinig damit, dass Österreich lange eher unterqualifizierte Zuwanderer angezogen habe, die nicht unbedingt die Klientel bürgerlich-konservativer Parteien sind: "Und die Zuwanderung aus Osteuropa in den letzten Jahren haben die Politiker unterschätzt."

"Viel zu wenige Initiativen"

Die Parteien setzten "viel zu wenige Initiativen", um Migranten anzusprechen, urteilt MSNÖ-Leiter Žarko Radulović, allerdings beruhe dies auf Gegenseitigkeit: Aufseiten der Zuwanderer vermisst er offensive Versuche, in der etablierten Politik Fuß zu fassen.

Die Parteien suchten sehr wohl entsprechendes Personal, berichtet hingegen Asdin El Habbassi, schließlich haben ja auch immer mehr Wähler Migrationshintergrund. Doch so mancher Zuwanderer habe das Handicap, sich in den heimischen Netzwerken und Strukturen weniger gut zurechtzufinden, sagt der Salzburger ÖVP-Parlamentarier und erkennt bei seiner eigenen Partei ein besonderes Imageproblem: Als migrantenaffine Gruppierungen seien eher die SPÖ und die Grünen bekannt.

El Habbassi selbst hat via Schulpolitik zur ÖVP gefunden. Abgesehen von einem giftigen Kommentar der mittlerweile zur FPÖ abgewanderten Ursula Stenzel seien ihm auf dem Weg in den Nationalrat keine besonderen Stolpersteine in den Weg gelegt worden, sagt er. Schwieriger sei es da schon, aus dem Migranteneck herauszukommen. Der 30-Jährige möchte als Jugendsprecher und Bildungspolitiker wahrgenommen werden – und nicht immer als jener, "der für die Ausländer zuständig ist". Eine solche Punzierung, sagt El Habbassi, "verbaut einem viele Chancen". (Gerald John, 3.1.2017)