Voller Kraft im Kraftwerk Mitte: Leonard Bernsteins "Wonderful Town" im neuen Zuhause der Staatsoperette.

Foto: Stephan Floß

Ein Premierenfeuerwerk zwischen Weihnachten und Silvester in Dresden: Offenbachs Orpheus in der Unterwelt, Bernsteins Wonderful Town und eine Eröffnungsgala – mit einem Ritt durch die Operetten- und Musical-Geschichte des alten Hauses. Samt Gastauftritt des Dresdner Bass-Weltstars René Pape als Clou. Eigentlich das Richtige zur Weihe eines neuen Hauses.

In Dresden ist die Staatsoperette umgezogen. Sie ist die einzige ihrer Art, heißt wie ein Staatstheater, gehört aber der Stadt. Aus dem Stadtteil Leuben, als Nachkriegs-Dauerprovisorium, ging es mitten in die Stadt, nur ein paar Gehminuten von Zwinger, Schauspielhaus und Semperoper entfernt: ins gerade fertig gewordene Kraftwerk Mitte, ein ehemaliges Heizkraftwerk, das nun dem Musiktheater dient. Draußen in der Vorstadt gab es die bunten Paradiesvögel des Genres öfter nur als graue Spatzen. Auch wegen der akustischen und technischen Grenzen. Der Ruf des Besonderen zählte da oft mehr als das Ergebnis. Mit Ausgrabungen oder verdienstvollen Beiträgen zur Geschichte des Genres machte man gleichwohl von sich reden.

Charmante Atmosphäre

Was man heuer (mit Blick auf die Elbphilharmonie Hamburg, das Gezerre um die Schauspielhäuser in Köln und Stuttgart oder auch um die Berliner Lindenoper) in Deutschland gar nicht mehr für möglich gehalten hätte und was auch in Sachsen vor ein paar Jahren noch auf der Kippe stand, ist nun in Dresden – auch dank der Beharrlichkeit von Intendant Wolfgang Schaller – gelungen. Ungefähr im geplanten Kostenlimit von 100 Millionen Euro und punktgenau zum Termin ist der Umbau des ausgedienten Kraftwerks zu einem Zentrum der städtischen Kultur fertig geworden. Das Theater Junge Generation (tjg) mit seinem Saal für 350 Zuschauer und die Staatsoperette mit einem 700-Plätze-Saal teilen sich das verschachtelte, aber geräumige und atmosphärische Foyer.

Dass die Türklinken und ein Teil der Toilettenbecken auf die anvisierten kleinsten Zuschauer zugeschnitten sind, hat etwas Anrührendes; die Beschriftungen in Deutsch, Englisch und Russisch haben etwas demonstrativ Weltläufiges. Und dass man die einstige Bestimmung des über einhundert Jahre alten Ursprungsbaus als Kraftwerk auf Schritt und Tritt erkennt, entfaltet weit mehr Charme als irgendein modisches Allerweltsdesign vom Reißbrett.

Der Architekt Jörg Friedrich hat sich hier von seinem ähnlich präzise geplanten und realisierten Theaterneubau der Nachwendezeit in Erfurt inspirieren lassen: Auch diesmal hat der Saal rote Wände. Die Zuschauerreihen steigen steil genug an, dass die Plätze in Parkett und Rang ohne Sichtbehinderung auskommen. Akustisch ist das Ganze gut austariert, die Bühne ist technisch rundherum mit allem Pipapo ausgestattet. Doch das ist nur der Kern für ein Kulturquartier, zu dem Museum, Diskothek, Musikschule, Kunsthalle und Arbeitsmöglichkeiten für andere Kreative gehören beziehungsweise hoffentlich noch gehören werden. Für all das ist jeder Respekt und jeder Applaus gerechtfertigt.

Perfekte Unterhaltung

Dass Dresden sich jetzt, bildlich gesprochen, zwischen der Operettengroßmacht Österreich und dem deutschen Eldorado für das Genre befindet, das Barrie Kosky an der Komischen Oper in Berlin auf Referenzniveau etabliert hat, merkt man freilich noch nicht so recht. Offenbach und auch die Gala kamen noch recht bieder und schaumgebremst über die Rampe. Technisch ist der Umzug ins "richtige" Theater indes gelungen.

Was an Potenzial in der Truppe steckt, kam immerhin bei Bernsteins vergleichsweise selten zu sehendem Musical Wonderful Town (1953) zum Vorschein. Für die deutschsprachige Erstaufführung dieser Liebeserklärung an New York, die 1956 in der Wiener Volksoper über die Bühne ging, hatte Marcel Prawy die Übersetzung besorgt. Die Dresdner Version hat jetzt zwar etwas Museales, funktioniert aber als perfekt gemachte Unterhaltung. Weil Regisseur Matthias Davids alles mit instinktsicheren Rampeneffekten in Szene setzt, das Timing stimmt und die zeitlosen Pointen einfach sitzen.

Dresden liefert mit seinem Operettentheater-Neubau wenigstens zum Jahresende somit noch die positiven Schlagzeilen, die man aus dieser Stadt übers Jahr so schmerzlich vermisste. (Joachim Lange aus Dresden, 2.1.2017)