Festgenommene in einem indischen Polizeifahrzeug. Immer wieder werden Verdächtige getötet. Laut Human Rights Watch werden Beamte nicht zur Rechenschaft gezogen.

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Zwei Tage nachdem B. Janardhan von der Polizei in der südindischen Stadt Hyderabad aufgegriffen worden war, war er tot. Nach Angaben der Polizei starb der 29-Jährige an einem Herzinfarkt. Sein Bruder sagte, seine Leiche habe deutlich Verletzungen von Schlägen gezeigt, an Beinen, Fußsohlen und Genitalien. Nach Protesten der Familie gab der Polizeichef zu, dass das Opfer illegal festgehalten worden war. Die Polizei hatte ihn eines Diebstahls bezichtigt.

Janardhan ist eines von 17 Opfern indischer Polizeigewalt, mit denen sich die US-amerianische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem im Dezember veröffentlichten Bericht über Tötungen in Polizeigewahrsam in Indien befasste. In dem Land kamen 2010 bis 2015 laut nationaler Statistik 591 Menschen in Polizeigewahrsam um. Die Polizei foltere "oft, um zu bestrafen, Informationen zu erhalten oder Geständnisse zu erpressen", stellte HRW fest. Die Organisation zeigt auch den Unwillen des indischen Staates auf, sein auf die britische Kolonialzeit zurückgehendes Polizeisystem zu reformieren.

"Mit feudalem Geist"

"Es ist eine der Ironien des modernen Indien", sagt Prakash Singh, Ex-Generaldirektor der Grenzpolizei und Polizeichef im Bundesstaat Uttar Pradesh. "Wir können eine Mission auf den Mond schicken, wir hatten eine IT-Revolution, aber wir ächzen noch immer unter einer kolonialen Polizei mit einem feudalen Geist." Als Ergebnis müssten Bürger, die Kritik üben, befürchten, dass sie verfolgt werden, wenn sie Kritik üben.

In Indien gilt noch das Polizeigesetz von 1861, das die britische Kolonialmacht nach der als "Meuterei" bezeichneten Revolte von 1857 erlassen hatte, um das unzufriedene Volk unter Kontrolle zu bringen. "Die Briten wollten damals natürlich eine Polizei, die jeglichen Dissent und alle Forderungen nach Selbstgesetzgebung unterbinden würde", hielten Maja Daruwala, G. P. Joshi und Mandeep Tiwana, Autoren einer Studie der Commonwealth-Human-Rights-Initiative von 2005, fest.

Reformen schon oft verlangt

Prakash Singh hatte schon 1996 eine Petition beim Obersten Gericht eingereicht, um die Bundesstaaten dazu aufzufordern, den bereits 1977 bis 1981 erarbeiteten Reformempfehlungen der Nationalen Polizeikommission nachzukommen. 2006 erließ das Oberste Gericht ein bahnbrechendes Urteil, das eine weitreichende Reform einläuten sollte.

Geschehen ist seither fast nichts. 2010 äußerte das "Thomas Komitee", welches die Umsetzung des Hochsturteils zu überwachen hatte, "Entsetzen über die totale Gleichgültigkeit der Bundesstaaten gegenüber Reformen für eine funktionsfähige Polizei". Human Rights Watch kennt zudem "keinen einzigen Fall zwischen 2010 und 2015, in dem ein Polizeimitarbeiter für einen Todesfall in Polizeigewahrsam zur Rechenschaft gezogen wurde".

Premier stellte Reformkonzept vor

Hoffnung keimte auf, als 2014 Narendra Modi ins Amt kam. Ende 2014 stellte der neue Premier das Konzept einer Polizei vor, die einfühlsam, aufmerksam, verlässlich und technisch versiert sein soll. Doch wenig ist seither passiert.

Unter Beobachtern hat sich Zynismus breitgemacht. "Wir können nicht erwarten, dass die Mächte, die die Polizei als essenziellen Teil ihrer Macht betrachten, diese Macht aufgeben", meint Surajit Dasgupta, Journalist beim rechtsliberalen Magazin Swarajya und Ex-Mitglied der in Delhi regierenden Aam-Admi-Partei.

Prakash Singh hat die People's Police Movement gegründet, eine Bewegung, die sich weiter für Polizeireformen einsetzt. "Es ist noch nicht zu spät", meint er. Polizeireformen seien "absolut essenziell", wenn Indien eine bedeutende Macht werden will. "Wirtschaftlicher Fortschritt kann nicht auf Dauer sichergestellt werden, wenn wir nicht für ein sicheres Umfeld sorgen." (Britta Petersen aus Neu-Delhi, 1.1.2017)