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Ökonom Legrain: "Wie bei jeder ökonomischen Veränderung gibt es auch bei der Globalisierung Verlierer" (im Bild: Demonstration von Globalisierungsgegnern bei der Einweihung des neuen EZB-Gebäudes in Frankfurt im März 2015)

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Der britische Ökonom Philippe Legrain bemängelt den Unwille von Politikern zu erkennen, dass sich viele Probleme nicht durch technokratische Reparatur lösen lassen.

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STANDARD: Welche Entwicklungen haben 2016 die Weltwirtschaft am meisten geprägt?

Legrain: Die Umbrüche mit den größten Auswirkungen auf die Wirtschaft waren die politischen. Die internationale Ordnung, die auf Regeln, Institutionen und liberale Demokratie aufbaut, ist in Gefahr. Wichtige Gründe sind der Bedeutungsverlust der USA, der Aufstieg Chinas und das schwindende Vertrauen ins Establishment. Wir erleben ein Erstarken von Parteien, die sich als Stimme gegen die Elite inszenieren und oft politischen und wirtschaftlichen Nationalismus vertreten. Auf dieser Basis gab es heuer monumentale Ereignisse, das größte war die Wahl von Donald Trump.

STANDARD: Und in Europa?

Legrain: Das bedeutendste Ereignis war sicher die Brexit-Entscheidung. Und das vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden Eurokrise und einer Flüchtlingskrise, die Europa auseinandergerissen hat. Die Risiken des Brexit liegen darin, dass entweder andere Ländern nun ebenfalls die EU verlassen wollen. Oder aber die Union hält sich immer weniger an ihre eigenen Regeln, so wie sich das jetzt schon beim Flüchtlingsthema zeigt.

STANDARD: Schenken wir singulären Geschehnissen wie dem Brexit-Referendum zu viel Aufmerksamkeit und blenden weniger schlagartige Entwicklungen aus?

Legrain: Ja, es wird zu wenig auf die dahinterliegenden wirtschaftlichen Entwicklungen geachtet. Es herrscht ein selbstgefälliger Glaube, das System werde weiterbestehen. Und ein Unwille zu erkennen, dass sich das Problem nicht durch eine technokratische Reparatur lösen lässt. Viele Trump- und Brexit-Wähler waren sich bewusst, dass sie die schlechtere Alternative wählen. Aber sie nehmen die Risiken in Kauf, weil sie mit dem Status quo so dermaßen unzufrieden sind.

STANDARD: Wie kann man dem begegnen?

Legrain: Den Leuten zu sagen: "Ihr liegt falsch, wir wissen es besser", das funktioniert auf Dauer nicht. Das liberale Establishment hat zum Beispiel in den Jahren vor der Krise gesagt, der einzig gangbare Weg sei den Finanzsektor zu deregulieren. Es hat auch gesagt: "Vertraut uns, die Globalisierung macht jeden reicher." Spätestens die Krise hat gezeigt, dass das nicht stimmt. Wie bei jeder ökonomischen Veränderung gibt es auch bei der Globalisierung Verlierer. Nicht, weil sie selbst daran schuld sind, sondern weil sie nicht das Glück haben, in einer geschützten Branche tätig zu sein.

STANDARD: Welche Maßnahmen würden helfen, diese Nachteile abzufedern?

Legrain: Man kann viel tun. Das ist nicht nur eine Frage von Umverteilung, die Leute wollen ja nicht auf soziale Wohlfahrt angewiesen sein. Es ist eine Frage von Ausbildung und Umschulungen, von Revitalisierung geschwächter Regionen. Und man muss die Menschen stärker motivieren, dorthin zu ziehen, wo es Jobs gibt. (Simon Moser, 29.12.2016)