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Präsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos.

Foto: AP / Gregorio Borgia

Bogotá/Puebla – Kolumbien, Land des Jahres" (Economist) – wer hätte sich das vor 20 Jahren träumen lassen? Damals versank das Land im Drogenkrieg, Kartellchef Pablo Escobar war über den Dächern von Medellín erschossen worden. Todesschwadronen richteten Kettensägenmassaker an. Präsident Ernesto Samper geriet ins Abseits, weil seine Kampagne mit Drogengeldern finanziert worden war.

Kolumbien, das in diesem Jahr seinen seit 52 Jahren andauernden Bürgerkrieg beendete und mit Präsident Juan Manuel Santos auch den Friedensnobelpreisträger stellt, ist in Zeiten der weltweiten Unsicherheit und Krise ein leuchtendes Beispiel dafür, wozu weitsichtige Politik in der Lage ist.

Gewalt hat in dem Andenland Tradition. Seit der Unabhängigkeit 1810 zählen Historiker zehn Bürgerkriege – einschließlich des aktuellen. Letzteren hatten schon mehrere Präsidenten vergeblich zu beenden versucht. Deshalb warnten alle Berater Santos vor diesem "aussichtslosen Unterfangen". Er hörte nicht auf sie und gab im September 2012 die Eröffnung von Gesprächen mit der linken Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) bekannt.

Pro-Frieden-Argumente

Vier Argumente sprachen aus seiner Sicht dafür: Die Farc waren durch die Militärschläge geschwächt wie nie zuvor. Sowohl Kuba als auch Venezuela – die lange ein wichtiger Rückhalt der Farc waren – erklärten sich zur Vermittlung bereit. Der Krieg war aufgrund der Geografie des Landes und der Verstrickung der Farc in den Drogenhandel nicht militärisch zu gewinnen. Um sein wirtschaftliches Potenzial voll entfalten zu können, erschien es notwendig, dass der Staat das ganze Land kontrollierte.

Die folgenden vier Jahre verlangten dem Pokerspieler Santos sein ganzes Geschick ab. Er musste nicht nur mit den Farc verhandeln, sondern auch die Militärs beschwichtigen, von denen einige den Krieg gerne verlängert hätten.

Er musste das Ausland mit ins Boot holen, um den Prozess zu legitimieren. Das schloss eine Generalamnestie aus – denn die hätte gegen das Völkerrecht verstoßen, und den Kriegsverbrechern beider Seiten hätten Prozesse vor dem Internationalen Strafgerichtshof gedroht. Vor allem aber musste er die Bevölkerung überzeugen und eine Elite, von der ein Teil mit Krieg und Landraub reich und mächtig geworden war.

Im September schließlich setzten Santos und Farc-Chef Rodrigo Londoño ihre Unterschrift unter das über 200 Seiten starke Vertragswerk. Doch der Triumph dauerte nur kurz.

Am 2. Oktober stimmten die Kolumbianer in einem Plebiszit knapp gegen das Abkommen – das Plebiszit war eine Idee von Santos, damit die Farc auf eine aus seiner Sicht kompliziertere verfassunggebende Versammlung verzichteten. Es war der schwerste Rückschlag seiner politischen Laufbahn. Die Regierung hatte Mühe und zu wenig Zeit, das komplexe Vertragswerk einer Bevölkerung mit überwiegend Volksschulniveau zu vermitteln, während die Friedensgegner tief in die Trickkiste griffen.

Der Vertrag garantiere den Farc Straffreiheit, promoviere die Homoehe und den Kommunismus, behaupteten sie. Später räumte Kampagnenchef Juan Carlos Vélez ein, dass er absichtlich falsche Informationen verbreitet hatte. "Wir wollten, dass die Leute mit Wut im Bauch an die Urne gehen" resümierte er das populistische Erfolgsrezept.

Nachgebessertes Werk

Hinter der Kampagne steckte ausgerechnet derjenige, der einst Santos' politischer Mentor war – Expräsident Álvaro Uribe. Mit seiner von den USA unterstützten Aufrüstung trieb er die Farc zwar militärisch in die Enge, aus persönlicher Rachsucht heraus – sein Vater war von den Farc ermordet worden – schwebte ihm jedoch nie etwas anderes vor als die Kapitulation der Guerilla.

Wenige Tage nach der Abfuhr per Referendum erhielt Santos den Friedensnobelpreis. Durch den internationalen Rückhalt gestärkt, empfing er die Kritiker, trug ihre Vorschläge an den Verhandlungstisch – und Ende November war ein nachgebessertes Werk fertig, das nun den Weg durch die Instanzen geht, also Kongress und Verfassungsgericht. Santos' Pokerspiel hat dem Land ein historisches Abkommen beschert – ob daraus in der Praxis auch wirklich Frieden wird, liegt in der Hand der Bevölkerung und seines Nachfolgers, der 2018 gewählt wird. (Sandra Weiss, 29.12.2016)