Wien – Die Geburt Jesu ist in der Bibel keine ganz so große Sache, wie man angesichts des nun überstandenen Weihnachtstraras in den Einkaufsstraßen und im Fernsehprogramm mutmaßen könnte. Die Evangelisten Markus und Johannes etwa berichten darüber gar nicht. Die Krippenszene kennen wir nur von Lukas: "Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war." Ein himmlisches Heer gibt dann den Hirten Bescheid. Matthäus hingegen gibt vor allem Zeugnis von den Sterndeutern und Herodes' Kindermord.
Stroh? Ochs? Esel? Der Stall? Keine Rede davon. Dieser liebgewonnene gestalterische Rest, der unser rauschgoldenes Bild von Weihnachten prägt, ist eine Fitzelarbeit aus apokryphen Schriften, populären Legenden, viel theologischer Symbolik und künstlerischem Formwillen. Eine pragmatische Entscheidung hingegen: Die Zahl der Weisen aus dem Morgenland wird nirgendwo genannt. Wegen der drei überlieferten Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe sind sie für uns aber die Heiligen Drei Könige.
Übung in Detailgenauigkeit
Klein ist die diesmalige Weihnachtssausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) ausgefallen, die dies vor Augen führt. Unter Bethlehems Stern präsentiert 24 mittelalterliche Handschriften. Man kann sich beim Betrachten in Detailgenauigkeit üben.
Nicht nur weil die großteils in privaten Stundenbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts geborgenen Bilder recht klein sind. Nicht nur weil die szenische Ausschmückung der acht Stationen von der Verkündigung an Maria bis zur Flucht nach Ägypten dank verschiedener oben genannter Auffettungen der spärlichen Bibelauskünfte variiert. Wahlweise in Grotte, Hütte oder nahezu Palast wird Jesus geboren.
Interessant macht die Exponate auch das Lokalkolorit, in das die Künstler die Szenen tauchten, um sie den Menschen des Mittelalters näherzubringen. Im dreifachen Sinn: örtlich, zeitlich und, als Effekt davon, auch emotional. Zwischen aufwendiger Renaissancearchitektur, leuchtenden alpenländischen Landschaften und zunehmend ausgeprägter Mimik und Gestik sollten, ja konnten ihnen Jesus und Maria bei der Andacht nicht fern sein. Wie steht etwa den taumelnden Hirten einer Verkündigungsdarstellung um 1520 der Schrecken ins Gesicht geschrieben! Wallende Stoffe fallen auf den Bildbeiträgen der niederländischen Illustratoren.
Tricks theologischer Didaxe
Das kann man kitschig finden. Die Geschichte der christlichen Bilderwelt ist allerdings seit je eine der Übernahmen und Adaptionen. Kalendarisch auf den 25. Dezember festgelegt wurde der Geburtstag des Herrn im vierten Jahrhundert zum Beispiel als Umdeutung des heidnischen Sonnengottfestes. Die Lichtsymbolik beanspruchte man aber schon länger, sie sollte den noch nicht christlich Gläubigen den Übergang zum neuen Glauben erleichtern. Das Kind in der Krippe des niederländischen Buchmalers Simon Bening (zwischen 1510 und 1524) leuchtet geradezu.
Tricks theologischer Didaxe finden sich auch andernorts. In der Bibel nirgendwo erwähnt, haben die Künstler etwa Ochs und Esel aus dem Alten Testament an die neutestamentarische Krippe geholt, damit sie dort Gottes erwähltes Volk und die Heiden repräsentieren. Eine bildlich-metaphorische Bekräftigung der kirchlichen Lehre.
Eine Führung lohnt sich
Damit bergen die Seiten das Spannendste oft außerhalb des Zentrums: In hinteren Bildebenen stecken ganz klein ganze Vorgeschichten. Und an den Rändern ranken nicht nur Blumen. Besonders prächtig beim Meister von Bedford: er verbindet die Verkündigung an die Hirten (Mittelbild) mit den Weisen, die dem Stern folgen (Bordüre), und zeigt so, wen Jesu Geburt aller erreicht: Arm und Reich, Nah und Fern.
Hochkomplex geben die Darstellungen nebenbei Auskunft über die Entwicklung der Buchgestaltung von der Textlastigkeit hin zur reichen Bebilderung und damit einhergehend dem Wichtigwerden von Künstlerpersönlichkeiten, die bis zum 14. Jahrhundert noch keiner Namensnennung würdig waren.
Ein Katalog ist wegen der Kleinheit und (konservatorisch bedingten) Kürze der Schau leider nicht erschienen. Umso mehr lohnt sich eine Führung, es entgeht einem sonst viel. Auch jetzt noch: Zwei Tage nach dem Heiligen Abend, stehen wir in der chronologischen Abfolge der Stationen der Ausstellung gerade erst bei der Hälfte. (Michael Wurmitzer, 26.12.2016)