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Tatort Sesto San Giovanni, eine Vorstadt nördlich von Mailand: Hier endete das Leben von Anis Amri.

Foto: AP / Daniele Bennati

Freitagnacht, 3.00 Uhr: Vor dem Bahnhof des Mailänder Vororts Sesto San Giovanni halten zwei Polizisten einen Mann an und bitten ihn um seine Papiere. Doch statt seiner Dokumente zieht dieser eine Pistole aus dem Rucksack und eröffnet sofort das Feuer. Dazu ruft der Mann "Allah ist groß" und "Polizistenbastarde".

Einer der Polizisten wird an der Schulter getroffen, sein 29-jähriger Kollege schießt zweimal auf den Angreifer und trifft ihn – tödlich, erklärt später der Mailänder Polizeichef Antonio de Iesu. Die beiden jungen Polizisten hätten sich vorbildlich verhalten und seien mutig gewesen; sie hätten den Mann, der allein über die dunkle Piazza gegangen sei, kontrolliert, weil er ihnen verdächtig vorgekommen sei.

Der Mann, der den tödlichen Schuss abgab, steht erst seit neun Monaten im Polizeidienst und hat noch Probezeit. Sein Kollege wurde operiert, er schwebt nicht in Lebensgefahr.

Noch mehrere Stunden lang war sich kaum jemand in Italien bewusst, dass in Sesto San Giovanni die Flucht des europaweit gesuchten Berliner Attentäters beendet worden war. Erst um 10.45 Uhr trat Innenminister Marco Minniti in Rom vor die Presse und gab offiziell bekannt, was Fingerabdrücke und biometrische Daten zuvor bestätigt hatten: Beim Erschossenen handelt es sich um den Tunesier Anis Amri – "ohne den Hauch eines Zweifels".

Keine Papiere

Die Polizei geht nun der Frage nach, ob und welche Terrorkontakte Amri in Italien gehabt haben könnte. Laut Innenminister Minniti hatte Amri keinerlei Ausweispapiere bei sich, doch anhand von Bahntickets, die bei ihm gefunden wurden, hätten die Ermittler zumindest teilweise den Weg rekonstruieren können, auf welchem der mutmaßliche Attentäter von Berlin nach Sesto San Giovanni gelangt sei.

Antiterrorchef Alberto Nobili sagte, Amri könnte geplant haben, nach Süditalien zu fahren, wo er 2011 erstmals europäischen Boden betreten hatte. Premier Paolo Gentiloni zeigte sich zufrieden: "Der Staat ist präsent, Italien ist präsent." Man dürfe die weitere Gefahrenlage aber nicht unterschätzen.

Ausgerechnet Mailand

Dass Amri ausgerechnet im Raum Mailand gestellt wurde, ist zumindest für die Mailänder kein Wunder. Denn wenn eine Stadt in Italien als effizient gilt, dann ist es die Wirtschaftsmetropole, die als besonders gefährdet gilt und deshalb ihren Polizeischutz kürzlich weiter verstärkt hat. Domplatz und Stazione Centrale befinden sich seit Tagen in einer Art Belagerungszustand. Doch davon hatte Amri vermutlich keine Ahnung.

Wie dem zum Trotz "flüchten" sich viele Mailänder in die Kultur. Das alljährliche Event, ein berühmtes "Weihnachtsgemälde" zu zeigen, wurde in den vergangenen Tagen zum Riesenerfolg. Seit dem Anschlag in Berlin hatte Piero della Francescas Madonna della Misericordia mehr Zulauf als zuvor. Und auch Michael Strasser, Direktor von Austria Turismo in Mailand, verzeichnete beim "musikalischen Adventkalender" auf dem Domplatz so viele Interessenten wie nie zuvor.

Tourismus-Stadträtin Roberta Guaineri bringt es im Gespräch mit dem STANDARD auf den Punkt: "Die Mailänder lassen sich nicht vom Terrorismus abschrecken, wir bekämpfen diesen nicht nur mit der Polizei, sondern auch mittels der Kultur." (Dominik Straub aus Rom und Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, 23.12.2016)