Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Pressefreiheit, das klingt sehr abstrakt. Wie konkret es werden kann, sieht man jetzt in der Türkei, am Umgang mit den Journalisten von Cumhuriyet. Wenn nur noch die Meinung derjenigen richtig und zum Recht erklärt wird, die die Macht haben. Wenn Kritik mit Widerstand gegen die Staatsgewalt gleichgesetzt wird. Wenn ein Kommentar Todesgefahr bedeutet. Wenn Berichterstattung schon als Akt des Aufbegehrens gewertet wird.

Welch hohes Gut Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet, wird uns in Westeuropa erst jetzt bewusster. Weil wir für selbstverständlich erachten, was vor Jahrzehnten in unserer Region erkämpft wurde. Aber die Bedrohung wird plötzlich real: Sie betrifft Journalisten, die man kennt. Die Gefährdeten haben ein Gesicht, eine Stimme, sind nicht nur eine Symbolfigur, sondern Menschen wie du und ich. Journalisten, die ihren Job machen.

Deshalb braucht es einen Aufschrei auch mitten in Europa, denn es betrifft uns, unseren Berufsstand, wenn Kollegen in der Türkei eingeschüchtert, bedroht, gefangen genommen und unter fadenscheiniger Begründung angeklagt werden. Wir Journalisten überall sind damit mitgemeint.

Wie muss es sein, wenn man jeden Tag, jede Stunde damit rechnen muss, dass jemand auftaucht und einen mitnimmt? Man weiß nicht, wohin. Welche Gedanken gehen dann durch den Kopf: Was wiegt schwerer – die journalistische Verantwortung, die für die Familie, für Freunde, für Kollegen? Ist richtig noch immer richtig?

Wie viel Mut braucht es, in einer solchen Situation nicht zu verzweifeln, seinen Weg zu gehen und seinen Berufsprinzipien treu zu bleiben? Wir können es uns mitten in Europa nicht vorstellen und wünschen Euch Kraft, diese schwierige Zeit zu überstehen und durchzuhalten, und die Stärke, um für Eure Überzeugungen einzutreten.

Euer Mut ist bewundernswert! (27.12.2016)