Beatrix Mayrhofer: intensive Schulung von Imamen notwendig.

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STANDARD: Der Terroranschlag in Berlin hat erneut auf fürchterliche Weise gezeigt, wie verwundbar die Gesellschaft heute ist. Vor allem morden die Attentäter im Namen Gottes – wie geht es Ihnen damit?

Beatrix Mayrhofer: Wenn Unschuldige sterben müssen? Wenn ein Ort angegriffen wird, der an die Geburt Christi erinnert? Nein, das kann nicht der Wille Gottes sein. Wenn ich frage, wo Gott war, dann gibt es für mich nur eine Antwort, die genau aus der Botschaft von Weihnachten kommt. Er ist Mensch geworden, einer von uns. Gott war unter den Rädern.

STANDARD: Bedingt durch die Terroranschläge ist viel Kritik am Islam laut geworden ...

Mayrhofer: Ja, und zum Teil zu Recht. Aber eben nur zum Teil. Insgesamt muss speziell eine intensive Schulung der Imame kommen. Denn wer vermittelt den muslimischen Menschen ihre Identität? Wir brauchen gute muslimische Lehrer, die den jungen Menschen helfen, den Islam zu reflektieren und die Botschaft des Koran in den europäischen Kontext zu übersetzen. Denn die Frage, ob es einen europäischen Islam gibt, ist eine zentrale Frage unserer Gesellschaft. Wie kommen wir mit Muslimen ins Gespräch, die ihren Glauben und unsere Grundgesetze reflektieren?

STANDARD: Sie waren lange Direktorin im Gymnasium des Schulzentrums der Armen Schulschwestern in der Friesgasse in Wien-Rudolfsheim. Es gibt 42 Muttersprachen an dieser Schule. Wie verfolgen Sie die Integrationsdebatten?

Mayrhofer: An der Basis sehe ich viel Engagement und Bemühen, Menschen aufzufangen und zu integrieren. In der Flüchtlingsfrage halte ich die Politik für säumig. Es gelingt nicht, den großen Gewinn von Zuwanderung zu vermitteln. Da werden lieber Menschen durch das Schüren von Angst abhängig gemacht. Abhängige Menschen sind bereit, sich etwas einreden zu lassen. Wir brauchen Politiker, die nicht auf Wählbarkeit schauen, sondern auf Verantwortung. Die gibt es zu wenig. Wir müssen beide Seiten ernst nehmen – die der Österreicher und jene der Flüchtlinge. Einseitige Lösungsvorschläge bringen uns nicht weiter.

STANDARD: Sprechen Sie hier etwa die Einschränkungen bei der Mindestsicherung an?

Mayrhofer: Ich bestehe auf Mindestsicherung ohne Abstufungen. Wie viele Menschen in Österreich werden deswegen ärmer, wenn wir allen, die in Frage kommen, die Mindestsicherung zusprechen? Natürlich kann jemand sagen: Ich habe so lange gearbeitet, und jetzt bin ich auch so weit unten. Da muss ich dann fragen: Wie gibt's denn das? Was läuft da falsch im System? Es kann doch nicht sein, dass ein Mensch 40 Jahre arbeitet und dann zu wenig zum Leben hat – und zu wenig, um sich eine Wohnung zu leisten.

STANDARD: In Oberösterreich läuft eine Debatte über verpflichtendes Deutsch als Schul- und Pausensprache. Eine sinnvolle Forderung?

Mayrhofer: Da bin ich dagegen. Wenn ich mir vorstelle, ich sitze in Schanghai, und dort gibt es einen zweiten Österreicher, dann würde ich sehr gerne mit ihm oder ihr Deutsch in der Pause reden. Sind viele Kinder derselben Muttersprache in einer Klasse, dann besteht die Gefahr, dass die nur untereinander reden und die anderen Kinder außen vor sind. Da würde ich sehr genau drauf schauen und mich fragen, wie wir eine Pausensituation schaffen, in der alle mitreden können. Worauf die Schulpolitik schauen muss, ist die Durchmischung.

STANDARD: Beispiel Wien: Wie soll das hier geschehen?

Mayrhofer: Da gehören die Verantwortlichen für den Wiener Wohnbau gefragt: Wo schaffen wir durch die Gestaltungen der Wohnbausituation und die Immobilienpreise indirekt Ghettosituationen? Schraube ich in bestimmten Gegenden die Preise hoch, habe ich dort nur Menschen, die sich das leisten können – die Armen bleiben draußen.

STANDARD: Viel Raum gibt es in den Klöstern. Dort gehen die Lichter aus – in Österreich ist die Zahl der Ordensfrauen von 13.466 im Jahr 1972 auf 3638 gesunken. Was tun gegen den Mitgliederschwund?

Mayrhofer: Wir sehen diese Entwicklung in ganz Westeuropa. Aber nachdem es uns Orden durch die Jahrhunderte in neuen Formen immer wieder gegeben hat, mach ich mir keine Sorgen. Und: Totgesagte leben länger.

STANDARD: Was aber die Frage nach dem Warum nicht beantwortet.

Mayrhofer: Die Mitglieder kamen früher zumeist aus kinderreichen Familien. Die Kinderzahl ist ein wesentlicher Faktor. In einer Großfamilie, die den Glauben lebt, geht schon mal ein Kind ins Kloster. Wenn es nur eine Tochter gibt – na Gott bewahre, die käme auf die Idee. Und es hat die Glaubensüberzeugung stark abgenommen.

STANDARD: Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser der Orden müssen trotz Personalmangels aufrechterhalten werden. Liegt in den Ordensgemeinschaften der Sparstift gleich neben der Bibel?

Mayrhofer: Nein, so heikel ist die Situation nicht. Noch einmal: Berufungen wird es immer geben, nur die Formen des Ordenslebens sind im Wandel. Unsere traditionellen Einrichtungen wie Schulen oder Spitäler haben wir mangels Novizinnen zum Großteil an Trägergesellschaften übergeben. Was aber auch gute Seiten hat: Es macht uns frei für neue Aufgaben.

STANDARD: Was soll Menschen reizen, einem Orden beizutreten?

Mayrhofer: Bitte, das Interesse ist da. Unsere neue Initiative "Freiwilliges Ordensjahr" etwa wird begeistert aufgenommen.

STANDARD: ... von den Gästen legt aber niemand die ewige Profess ab.

Mayrhofer: Stimmt. Aber mir hat auch niemand das Ordensleben schmackhaft gemacht. Das spürt man einfach. Das ist mit der Liebe zwischen zwei Menschen vergleichbar. Es kann ein Prozess sein, wo man sich lange kennt – und plötzlich merkt, es ist der Mensch fürs Leben. Oder es ist Liebe auf den ersten Blick.

STANDARD: Waren Sie auch einmal so richtig verliebt?

Mayrhofer: Mehrmals. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass das noch nicht alles sein kann.

STANDARD: Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie die Klosterentscheidung kundgetan haben?

Mayrhofer: Mein Vater war Mesner in Wels, der hat das so zur Kenntnis genommen. Ich glaube, er hat sich auch gefreut. Meine Mutter hat, so typisch Mama, gesagt: "Kann ich dir dann noch a Packl schicken?" Aber es war eine positive Einstellung, was die Ausnahme ist. Die meisten sehen sich mit dem Widerstand der Eltern konfrontiert. Es heißt: "Bist narrisch! Da versäumst du das Leben."

STANDARD: Was jetzt nicht gerade von einem guten Image zeugt.

Mayrhofer: Und? Macht ja nichts. Ich bin ja da, damit ich tue, was mein Auftrag ist, und für die Menschen lebe. Das Ziel des Lebens ist ja nicht, groß und wichtig zu sein.

STANDARD: Noch einmal zurück zum Islam. Es wird immer wieder ein Verschleierungsverbot gefordert. Sie tragen auch Schleier. Sind Ordensfrauen Teil der Debatte?

Mayrhofer: Nicht alle Ordensfrauen tragen Schleier. Aber ich selbst habe damit viele sehr persönliche Erfahrungen. Wer heute mit einem Schleier durch die Gegend geht, wird oft mit einer Muslima verwechselt – zumindest in Wien.

STANDARD: Ein Bildungsproblem?

Mayrhofer: Nein, ein Säkularisierungsproblem. Die Leute kennen keine Ordensfrauen mehr. Wenn sie mich sehen, ist das für manche seltsam. Aber ich will den Schleier tragen, und ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die mir verbietet, als Ordensfrau den Schleier zu tragen. Warum soll es sich dann eine muslimische Frau verbieten lassen? Was wir brauchen, ist, Frauen Zugang zur Bildung zu vermitteln und ihnen zu helfen, selbstverantwortete Entscheidungen zu treffen.

STANDARD: Sie sind glühender Rapid-Fan. Gehen Sie im Ordensgewand ins Stadion?

Mayrhofer: Nein: zum Match nur in Zivil. Das ist da nicht angebracht. Okay, inzwischen ist der schwarze Schleier bei Rapid durchaus angebracht.

STANDARD: Braucht Rapid ein Weihnachtswunder?

Mayrhofer: Ich wünsche es ihnen. Man muss auch einem Verein treu bleiben, wenn er unten ist.

STANDARD: Das ist eine Parallele zu den Orden, oder?

Mayrhofer: Na sicher. Ich wähle den Verein ja nicht, weil er gewinnt, sondern aus Überzeugung. (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, 24.12.2016)