Innsbruck – Stefan Mayr ist Forscher und leidenschaftlicher Kommunikator. Das ist eine recht seltene, aber erfolgreiche Kombination, wie sich beim Science-Slam-Finale 2016 zeigte. Mayr nahm an diesem Wettbewerb mit einer sprechenden, selbst angefertigten Spitzahorn-Baum-Stoffpuppe mit Gesicht und Glubschaugen teil. Vermutlich würde er ja öfter in diesen Settings zu sehen sein. Doch dafür bleibt neben der Forschung am Institut für Botanik der Universität Innsbruck und anderen universitären Aufgaben zu wenig Zeit.

Mayrs erste große Leidenschaft sind Bäume. Er forscht ausschließlich zu Themen, die sie betreffen, und sagt auch, warum er sie so mag. "Weil sie beeindruckend sind. Ihre Größe, ihr Alter. Vieles an ihnen fasziniert mich." Selbst die Strategie, die sie bei der Überwinterung anwenden, hat seine vollste Bewunderung. Die simple Frage lautet: "Wie schaffen es Bäume, sich vor Frost zu schützen?" Sie verkriechen sich ja zwangsläufig nicht wie Menschen oder Tiere in warme Wohnungen oder Höhlen. Der Baum übersteht im Freien den Winter. Laubbäume werfen Blätter ab, um die Angriffsfläche für Eis und Kälte zu reduzieren und mit möglichst wenig Wasser auskommen zu können. Nadelbäume treiben besonders viel Aufwand beim Überwintern, sie bleiben grün.

Im Winter sind Bäume sowohl großem Trockenstress (Frosttrocknis) als auch häufigen Gefrier-Tau-Ereignissen ausgesetzt.
Foto: UIBK

Mayr schwärmt: "Dahinter steckt ein genialer Trick." Dazu muss man wissen: Der Winter wird für alle Lebewesen gefährlich, sobald Zellen zu frieren beginnen. Eiskristalle können dann die feinen Membranen zerschneiden, was für das Gewebe und für den ganzen Organismus tödlich sein kann. Im Baum startet die Eisbildung aber außerhalb der Zellen, die dabei rechtzeitig entwässern.

Der Stamm wird dünner

"Das geht blitzschnell. Wenn das Frieren beginnt, muss das Wasser raus aus den Zellen", erzählt Mayr. Dabei lässt sich auch ein merkwürdiges Phänomen beobachten: Der Baumstamm zieht sich während der Eisbildung zusammen, verliert einige Millimeter Durchmesser, wie man dank eines Dendrometers sehen kann – eines Messsystems, mit dem man den Umfang von Baumstämmen messen kann. Der Wissenschafter: "Eigentlich würde man erwarten, dass der Stamm dicker wird, weil Eis ein größeres Volumen als Wasser hat." Tatsächlich verdrängt aber das Eis die Luft aus den Zellzwischenräumen, der Umfang wird reduziert.

An der alpinen Waldgrenze, sagt Mayr, sei der Boden im Winter lange Zeit gefroren, "weshalb die Wasserversorgung blockiert ist". Die Nadelbäume, die der Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, stehen deshalb unter "Trockenstress", der im Spätwinter massiv wird, wenn die internen Wasserreserven aufgebraucht sind. Die Achillesferse sei dabei der Wassertransport, entstehen Gase in den langen Kanälen von der Wurzel zur Baumkrone, dann kann es zu "Verstopfungen" kommen, die Mayr mit jenen von Venen und Arterien beim Menschen vergleicht.

Bestimmte Bäume an der Waldgrenze in den Zentralalpen haben aber noch ein zweites großes Problem, das jahrelang unterschätzt wurde. Der Fichtennadelblasenrost, ein Pilz, der von der Alpenrose überspringt, gefährdet, wie der Name schon sagt, die Fichte. Mayr: Er attackiert zwar ausschließlich junge Nadeln. Aber wir haben mittlerweile Gebiete, in denen Aufforstungen mit Fichte problematisch sind." Der Grund: Der Nachwuchs wird wiederholt vom Pilz befallen, wächst nicht und stirbt ab.

Resistente Fichtenarten

In einem Projekt mit der Landesforstdirektion und dem Innsbrucker Kompetenzzentrum AlpS hat man versucht, resistente Fichtenarten, die vom Schädling nicht befallen werden, über Stecklingsbewurzelung zu vermehren. Aber es dauert natürlich seine Zeit, bis daraus Pflanzenmaterial zur Aufforstung bereitsteht, und etwa 80 Jahre, bis die Fichten eine stattliche Größe erreichen. Eigentlich sollte man deshalb schon jetzt wissen, welche Fichtensorte langfristig gegen den Pilz standhält, um in einem Jahrhundert hinreichenden Holzbestand zu haben.

Mit Banddendrometern kann das Dickenwachstum von Baumstämmen verfolgt werden. Es wird jeweils händisch die Zunahme des Stammumfanges abgelesen.
Foto: UIBK

Eine andere Lösung des Problems wäre, die Verbreitung der Alpenrose einzudämmen, die etwa auf stillgelegten Almen auftritt. Mayr zeigt sich skeptisch: "Das aber dürfte eine Geldfrage sein: Dazu müssten Almflächen wieder bewirtschaftet werden." Der Wissenschafter will jedenfalls seine Forschungen zu resistenten Fichtenarten systematisieren und ausbauen. "Derzeit haben wir erst relativ wenige Stecklinge von etwa 20 bis 30 resistenten Fichten, zu wenige, um den Bergwald gegen den Schädling zu schützen." Er denkt dabei auch an die Absicherung von Siedlungsgebieten im alpinen Raum durch die Bergwälder. "Sie verhindern Rutschungen von Geröll-, Schnee- oder Erdmassen."

Sauerstoffproduzent

Der Wald als Schutzwall: eine Funktion von Bäumen, die in der Öffentlichkeit kaum präsent ist, wie der Wissenschafter sagt. "Man sieht den Wald als Erholungsgebiet und den Baum mit seiner Fotosynthese als Sauerstoffproduzenten." Die meisten Menschen haben auch eine in der Intensität oft überraschende "emotionale Bindung" zu Bäumen. Mayr berichtet von Arbeiten im Botanischen Garten in Innsbruck. Man habe ihn bei Messungen beobachtet, die dem Baum keinen Schaden zufügen. Dabei werden kleine Nägel ins Holz eingeschlagen und mittels Strommessungen ein Tomografiebild des Stamminneren erzeugt, ohne bohren zu müssen.

Bewurzelte Stecklinge von Fichten, die resistent gegen Chrysomyxa-Befall sind.
Foto: UIBK

Als die Beobachter die Erklärung hörten, fragten sie nur besorgt: "Tut der Strom dem Baum eh nix?" Mayr zeigt sich amüsiert und meint, dass es da wohl noch einige Aufklärungsarbeit brauche, um Missverständnisse zu beseitigen.

Vielleicht schreibt er ja einmal ein Buch, illustrieren könnte er es auch. Mayr gilt an der Uni Innsbruck als ein nicht untalentierter Cartoonist. Das könnte aber alles noch dauern, denn neben den Forschungen bleibt für derlei Hobbys nur wenig Zeit. (Peter Illetschko, 23.12.2016)