Aufbau für die letzten Veranstaltungen zur Kulturhauptstadt 2016.

Foto: Jutta Berger

Kostenlose Openair-Veranstaltungen wie Straßentheater, hier im Universitätsviertel, waren die Publikumsrenner im polnischen Wrocław.

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Vor allem die kostenlosen Openair-Veranstaltungen wurden von Menschen besucht, die sich Kultur sonst nicht leisten können.

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Wrocław war 2016 gemeinsam mit dem spanischen San Sebastián Kulturhauptstadt. Sie bekam dieses Prädikat als erste polnische Stadt.

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Ein Jahr lang hat Wrocław, das frühere Breslau, versucht, als Europäische Kulturhauptstadt seine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte einer Stadt, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg gänzlich neu erfinden musste. Wrocław war 2016 gemeinsam mit dem spanischen San Sebastián Kulturhauptstadt. Sie bekam dieses Prädikat als erste polnische Stadt.

Das schlesische Breslau, heute im Südosten Polens gelegen, war im 19. Jahrhundert drittgrößte Stadt des Deutschen Kaiserreichs. Die Mehrheit war protestantisch, man lebte mit der katholischen polnischen Minderheit und der großen jüdischen Gemeinde im Einvernehmen. Die Terrorregime Hitlers und Stalins zerstörten das Miteinander. Menschen wurden vertrieben, andere angesiedelt, wurden Spielsteinen gleich hin- und hergeschoben.

Nur 30 Prozent der Stadt überstanden den Kampf zwischen den Nationalsozialisten den Sowjets. "Wir denken an die Menschen in Aleppo", sagte Stadtpräsident Rafał Dutkiewicz in seiner Abschlussrede zu Wroclaw 2016. Frieden, Freiheit, Demokratie, zählten zum Grundverständnis seiner Stadt, betonte der Politiker.

Stolz auf die Stadt

Was bleibt nach diesem Jahr? Sara Ziemecka, 23, Studentin und eine der 2000 Ehrenamtlichen, ohne die Wrocław 2016 nicht möglich gewesen wäre, versucht eine Antwort. Aus den Erfahrungen sollte man leistbare kulturelle Angebote weiterentwickeln, auch nach 2016 breiten Zugang zu Kultur ermöglichen. "Vor allem die kostenlosen Openair-Veranstaltungen wurden von Menschen besucht, die sich Kultur sonst nicht leisten können."

Die junge Frau wünscht sich, "dass die Menschen in Wrocław stolz auf ihre Stadt sind, auf diese Stadt, die so ungewöhnlich ist." Ihre Generation sollte mehr Interesse für Geschichte zeigen: "Denn gerade in Wrocław kann man erkennen, wie sehr Geschichte die Menschen prägt."

Gelegenheit, in die Vergangenheit einzutauchen, bietet die Stadt der Kirchen und Brücken, errichte auf zwölf Inseln zwischen Nebenflüssen der Oder, zuhauf. Am Rynek, dem Großen Ring, dem zweitgrößten Marktplatz Polens, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die bunten Fassaden der stattlichen Bürgerhäuser machen den Platz fröhlich und lebhaft. Gotik und Renaissance dominieren.Durch den "Tritt", den Mittelblock mit Rathaus, ist der Platz viergeteilt und ist nach Krakau Polens zweitgrößter Marktplatz. Am Rynek 6 erzählt das neue Pan Tadeusz Museum, was es mit dem polnischen Nationalepos auf sich hat.

Wrocławer Vatikan

Kaufhäuser wie das Feniks, das frühere Warenhaus der Gebrüder Barasch, geben einen Eindruck, wie prächtig die Jugendstilfassaden waren. Die 1931 erbaute Sparkasse wird von vielen als Stilbruch gesehen, zeugt aber vom Geist der Moderne, der in der Breslauer Stadtplanung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte. Was man nicht sieht: 60 Prozent der Häuser am Großen Ring wurden im Krieg zerstört und mithilfe alter Bilder und Fotos sorgfältig restauriert.

Nicht weit vom Rynek zeugt die Synagoge zum Weißen Storch von der langen Geschichte der jüdischen Gemeinde in Breslau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 20.000 Mitglieder hatte. Ihr stolzes Wahrzeichen, die Neue Synagoge, wurde von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht. Omnipräsent ist das Christentum mit 100 katholischen, protestantischen und orthodoxen Kirchen. Der größte Sakralbau, der gotische Dom, ist Wahrzeichen der Stadt und befindet sich auf der Dominsel, dem ältesten Teil der Stadt, der ganz von Geistlichen bewohnt wird und deshalb den Spitznamen Wrocławer Vatikan trägt.

Interaktive Daueraustellung

Den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet überstanden haben die großartigen Bauten der Moderne, die Jahrhunderthalle von Max Berg und der Vier-Kuppel-Pavillon von Hans Poelzig. Der Gebäudekomplex, errichtet zur Jahrhundertausstellung 1913, beherbergt das Museum für zeitgenössische Kunst und ist allein schon eine Reise nach Wrocław wert. An der Bernardynska befindet sich zudem das einzige Architekturmuseum Polens. Zahlreiche historische Gebäude wurden für Wrocław 2016 restauriert, Neubauten, wie das Musikforum kamen dazu.

Eintauchen in die jüngste Geschichte Wrocławs kann man im Depot, einer früheren Straßenbahnremise in der Vorstadt. Im Ziegelbau lässt sich dort in der interaktiven Dauerausstellung Wroclaw 1945 – 2016 die Geschichte des Wiederaufbaus, das Leben im Kommunismus, die Protestbewegungen der 1980er-Jahre und das Leben nach der Wende nachvollziehen.

Bronzene Überbleibsel des Widerstands der 1980er-Jahre sind die zahlreichen Zwergskulpturen, 350 sollen es aktuell sein. Die Zwerge erinnern an die Orangene Alternative, eine Gruppe Oppositioneller, die in orangefarbenen Zwergenkostümen humorvolle Aktionen setzte und so das kommunistische Regime vorführte.

Offenes Polen

Das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt hat man in Wrocław, nicht nur genutzt, um den europäischen Nachbarn und potenziellen Touristen zu zeigen, was die mit rund 630.000 Einwohnern viertgrößte polnische Stadt zu bieten hat. Man war bemüht, ein offenes Polen zu präsentieren.

Europäisch, dieses Wort habe eine andere Bedeutung für die Menschen in Wrocław bekommen, sagt Jarosław Fret, Sprecher der acht Kuratoren. "Wir haben einander kennengelernt, das ist wohl die beste Basis um einander zu verstehen", ergänzt Direktor Krzysztof Maj. Donald Tusk, Präsident des Europarats, appellierte beim Schlussevent an die polnische Regierung: "Demokratie und Frieden sind äußerst fragil, wer die Demokratie unterminiert, gefährdet die europäische Idee." (4.1.2017)