Herr Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro hat ihn heuer wieder bekommen, den Ballon d'Or, zum vierten Mal schon. Diesen erhält man nicht für die kreativste Steuererklärung eines Profifußballers, sondern als Auszeichnung für den besten Fußballer des Jahres in Europa und in der Welt.

Diese Auszeichnung scheint seit einigen Jahren in einer Art Erbpacht zwischen dem Argentinier Lionel Messi, fünfmaliger Ballon-d'Or-Gewinner, und dem Portugiesen Ronaldo aufgeteilt zu werden. Was Messi und Ronaldo gemeinsam haben, ist, dass sie den materiellen Wert des Goldballes eigentlich nicht dringend benötigen. Sie dürften cashmäßig gut abgesichert sein. Nicht zuletzt – und das ist eine weitere Gemeinsamkeit – wegen ihrer originellen Strategien im Umgang mit den Steuerbehörden. Diese sind es auch, welche die pure Freude Ronaldos im Moment etwas trüben. Es sei hart für ihn, "seine Familie, seinen Sohn und alle", teilt er denen, die noch immer auf irgendwelchen Kanälen Sport konsumieren und sich nicht längst angeödet abgewandt haben, mit.

Was für den finanziell und mit medialer Aufmerksamkeit so verwöhnten Portugiesen so hart ist, ist, dass er im Moment eine Art von Zuwendung erhält, die ihm nicht gefällt. Football-Leaks, eine Enthüllungsplattform, hat offengelegt, dass er 63,5 Millionen Euro steuerfrei über eine geschickte Offshore-Konstruktion auf den British Virgin Islands in den sicheren Hafen einer Schweizer Privatbank transferiert hat. Aber Ronaldo ist mit diesen Anschuldigungen nicht allein. Mit ihm erwischte es solche Sportgrößen wie den deutschen Mittelfeldzangler Mesut Özil, Startrainer José Mourinho, Paul Pogba und andere. Aber interessiert das überhaupt noch jemanden?

Der erfahrene Investigativjournalist der "Süddeutschen", Thomas Kistner, meint, dass diese Aufdeckungen kaum weitreichendere Folgen haben werden. Eine kurze Erregung saturierter, Alltagsunterbrechungen suchender Medienjunkies, dann Gleichgültigkeit und wisch und weg, und es werde wie bisher Fußball, Fußballerfrisuren und Fußballeroberkörper geschaut.

Und es scheint auf den ersten Blick, als ob Kistner recht habe. Die Football-Leaks-Enthüllungen zu Ronaldo kamen am Samstag vorvergangener Woche erstmals an eine breite Öffentlichkeit. Ein paar Tage darauf spielte Real Madrid (mit Ronaldo) in der Champions League gegen den BVB. In der heimischen TV-Übertragung wartete man vergebens auf einen dürren Hinweis zur laufenden Affäre. Unkritisches Sportmedienbusiness as usual.

Auch an anderer Stelle muss man mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass ein rechtskräftig verurteilter Steuerhinterzieher zum Vorstandsvorsitzenden eines millionenschweren Fußballunternehmens gewählt wird. "Uli, wir brauchen dich!" Oder, unlängst wurde der Einspruch Sepp Blatters vom Europäischen Sportgerichtshof zurückgewiesen. Und was war eigent- lich mit dem deutschen Sommermärchen und Kaiser Franz? Die "Wahrheit, eine Tochter der Zeit".

Eine ähnliche Dynamik der weitgehenden Wirkungslosigkeit findet sich auch in all den Dopingaufdeckerberichten. Der McLaren-Report wirft Russland systematisches Staatsdoping in einem nahezu unglaublichen Ausmaß vor. Der Bericht umfasst 144 penibel recherchierte Seiten. Die öffentliche Aufregung darüber ist kurzfristig und hält sich in engen Grenzen. Eine fundierte öffentliche Auseinandersetzung mit den aufschlussreichen inhaltlichen und technischen Details des Reports findet quasi nicht statt.

Dopingskandale, Steuerbetrug oder Korruption scheinen den Sport nicht mehr beschädigen zu können, ja es sieht so aus, als ob sie ein inhärentes und weitgehend akzeptiertes Element des Mediensportclusters seien. Fakten werden ignoriert, um das reichliche emotionale Kapital des Sports besser verkaufen zu können.

Dazu kommen zwei weitere Aspekte, die den Mediensportzirkus vorantreiben. Die mitunter empörungsgeschwängerten Aufdeckungsdynamiken, mit ihrer Taktik des scheibchenweise Herausrückens von Fakten, generieren ihrerseits selbst gesteigerte Umsätze und sind Bestandteil derselben Aufmerksamkeitsökonomie, die sie kritisieren. Zweitens werden auch auf Fakten gestützte Enthüllungen, wie wir sie im McLaren-Report vorfinden, durch Gegenleaks oder Gegeninformationen von Hackergruppen wie etwa den prorussischen "Fancy Bears" für eine Neuauflage des Kalten Sportinfokrieges verwendet.

Wenn mit dem aktuell hippen Begriff "postfaktisch" das Ignorieren, Verbiegen, Verleugnen und Manipulieren von Tatsachen zum eigenen Nutzen gemeint ist, verdienten große Bereiche des Hochleistungssports dieses Prädikat, lange bevor es den Begriff gab. Siehe die endlosen Dopinggeschichten des professionellen Radrennsports, Gewichthebens oder Skilanglaufs. Die Frage, wie alle im Sport Involvierten – dabei sind auch die Zuseher inkludiert – damit umgehen sollen, ist damit aber nicht annähernd beantwortet. (Rudolf Müllner, 20.12.2016)