Wie politisch gefährlich sind Vanillekipferl und Kokosbusserl in der heutigen Türkei? Das österreichische Sankt-Georgs-Kolleg hat sich vergangene Woche dieser Herausforderung gestellt und im Rahmen eines landeskundlichen Unterrichts über Weihnachtsbräuche in Österreich seine Schüler backen lassen. Es ist nichts passiert. Anders als im deutsch-türkischen Gymnasium, das ebenfalls im Istanbuler Stadtteil Beyoglu auf der europäischen Seite der Stadt liegt, habe niemand interveniert, gab Schuldirektor Paul Steiner bekannt. Die Anweisung, den überwiegend muslimischen Schülern in der Eliteschule keinen Unterricht über Weihnachtliches zu erteilen, hat übers Wochenende zu einer neuerlichen Verstimmung zwischen der deutschen und der türkischen Regierung geführt.

Doch auch am deutschen Istanbul Lisesi legte sich am Montag der Sturm. "Nach gemeinsamer Sitzung zwischen der türkischen Schulleitung und der Leitung der Deutschen Abteilung kann ich Ihnen mitteilen, dass kein Verbot "Weihnachten" im Unterricht zu besprechen vorliegt", hieß es am Montag in einer E-Mail der deutschen Abteilungsleitung an die deutschen Lehrer, so meldete die Nachrichtenagentur dpa.

Ein anderes Schülerprofil

Der politische Hintergrund der Demarche gegen das Singen von Weihnachtsliedern und das "Mitteilen" und "Erarbeiten" christlicher Weihnachtsbräuche scheint gleichwohl klar: Ausländische Privatschulen – auch prestigeträchtige wie das alte Sankt-Georgs-Kolleg und das Istanbul Lisesi – haben längst eine türkische Schulleitung, die dem Bildungsministerium in Ankara untersteht und mit dem ausländischen Schuldirektor und den Lehrern kooperiert. Das Profil der Schulen hat sich über die Jahre auch geändert. Am Sankt-Georgs-Kolleg werden derzeit 516 Schülerinnen und Schüler unterrichtet; bis auf eine Ausnahme habe alle die türkische Staatsbürgerschaft.

Muslimische Schüler protestantische Lieder singen zu lassen, sei eine "missionarische Aktivität", schrieb Mustafa Sentop, ein führender Politiker der regierenden konservativ-islamischen AKP auf Twitter. Wie würde ein türkischer Lehrer in Deutschland behandelt, der christlichen Schülern den Islam predige?

Bisher oft Karrieresprungbrett

Die deutsche wie die österreichische Schule in Istanbul sind Teil der Kulturpolitik beider Länder. Die Lehrer werden von ihren Bildungsministerien entsandt und auch bezahlt. Absolventen der Schulen besetzen später häufig wichtige Positionen in der Wirtschaft oder der Politik in der Türkei. Spätestens seit den Protesten um den Gezi-Park in Istanbul agieren die Schulleitungen allerdings vorsichtig, um nicht den Unmut der türkischen Ministerialbürokratie in Ankara zu erregen.

Die Weihnachtsdemarche am deutsch-türkischen Gymnasium, so die Auffassung in Istanbul, dürfte eher der türkischen Schulleitung geschuldet sein, die sich dem neuen politischen Wind anpassen wollte: Seit Beginn des Schuljahres probt die Regierung mit so genannten "Projektschulen" den neuerlichen Umbau des öffentlichen Schulsystems. Lehrer werden nun versetzt und – so sagen Kritiker – durch AKP-treue, konservativ fromme Lehrkräfte ersetzt. Das hat in Istanbul zu einer Reihe von Schülerprotesten geführt. (Markus Bernath aus Istanbul, 19.12.2016)