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Heftige Proteste gab es am Wochenende vor und hinter den Türen des Parlaments. Journalisten sollen von dort künftig nur noch eingeschränkt berichten dürfen.

Foto: AP / Czarek Sokolowski

"Reden an die Nation" halten auch Polens Premierminister und Präsidenten sonst nur vor wichtigen Fest- und Gedenktagen. Dass Regierungschefin Beata Szydlo am Samstag eine empörte Fernsehansprache "an die Nation" hielt, überraschte viele. Denn die Parlamentskrise hatte nicht Szydlo vom Zaun gebrochen, sondern Marek Kuchcinski, der Sejm-Marschall, also der Vorsitzende des polnischen Abgeordnetenhauses.

Am Freitag verkündete er einen Beschluss, ab dem 1. Januar den Zugang der Journalisten zum Plenarsaal massiv einschränken zu wollen. Als ein Oppositionspolitiker als Protest ein A4-Blatt mit dem schlichten Wort "Medienfreiheit" in die Kameras hielt, verwies Kuchcinski den Abgeordneten des Saales. Der Tumult, der dann ausbrach, hielt auch am Sonntag weiter an.

Besetzte Tribüne

Rund 30 Oppositionspolitiker verschiedener Parteien besetzten die Rednertribüne, sangen die Nationalhymne und forderten lautstark mehr Medienfreiheit in Polen ein. Vor dem Parlamentsgebäude versammelten sich mehr und mehr Demonstranten und blockierten die Ausgänge. Die nationalpopulistische Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sollte so dazu gezwungen werden, den Maulkorbbeschluss gegen die Journalisten wieder zurückzunehmen.

Derweil beschloss die Partei im sogenannten Säulensaal das Budget für das Jahr 2017 und sperrte die Journalisten von der Beratung und der Abstimmung vollständig aus. Ob die Abstimmung tatsächlich legal war, wie die PiS behauptet, kann objektiv nicht festgestellt werden, da weder Journalisten noch die Opposition im Saal waren. Einige PiS-Abgeordnete scheinen aber die Anwesenheitslisten erst nach der Abstimmung unterzeichnet zu haben, wie beispielsweise Justizminister Zbigniew Ziobro, von dem ein Handy-Video sofort über Twitter an zehntausende Polen rausging.

Massive Schuldzuweisungen

Ein massives Polizeiaufgebot räumte die Ausgänge frei. Eine Abgeordnete der Opposition filmte Polizisten dabei, wie sie Tränengaskanister und -düsen für den Handeinsatz vorbereiteten. Am Samstagabend beschuldigte Beata Szydlo in ihrer "Ansprache an die Nation" die Opposition. Sie allein sei für die Eskalation des Streits verantwortlich. Sie vernichte das öffentliche Vertrauen und die Solidarität, zerstöre die Demokratie und ihre Grundsätze. Die Opposition, so Szydlo, "ruiniert uns als Nation und Gemeinschaft".

Am gleichen Abend erkläre in Breslau Donald Tusk, Polens Ex-Premier und seit nunmehr zwei Jahren EU-Ratspräsident, dass er "von denen, die die wahre Macht in unserem Land ausüben, Respekt für die Bevölkerung und die verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werte" erwarte. Tusk dankte den regierungskritischen Demonstranten, die sich seit Monaten für "europäische Standards der Demokratie" in Polen einsetzen.

Auch Polens Staatspräsident Andrzej Duda ergriff das Wort und bot an, zwischen den Konfliktparteien vermitteln zu wollen. Da jedoch auch er seinen Wahlsieg als Präsident 2015 der PiS verdankt, fügte er gleich hinzu, dass Teile der Opposition die Situation für ihre Zwecke "ausgenutzt" hätten. Dennoch nahmen die Oppositionsführer das Vermittlungsangebot des Präsidenten am Sonntag an. Auch mit PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski will Duda reden. Kaczynski hatte den Oppositionspolitikern, die sich für die Medienfreiheit einsetzten, "Rowdytum" vorgeworfen und ihnen "mit Konsequenzen" gedroht.

Rednerpult besetzt

"Niemand wollte jemals den Zugang der Journalisten zu wichtigen politischen Veranstaltungen beschränken", behauptete wiederum Stanislaw Karczewski, der Präsident des Senats, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments. Am Sonntag traf er sich auf Wunsch Kaczynskis mit rund einem Dutzend Medienvertretern, ohne dass es aber zur Rücknahme des Maulkorberlasses gekommen war. Am Montag, so heiß es, solle weiterverhandelt werden. Für Dienstag ist die nächste Sejmsitzung anberaumt. Solange wollen die Oppositionspolitiker, die sich alle paar Stunden ablösen, die Rednertribüne besetzt halten. (Gabriele Lesser aus Warschau, 18.12.2016)