Die (auf)reizende Emma (Alma Hasun, li.) verdreht Daniel (Michael Dangl) den Kopf. Ehefrau Isabelle (Sona MacDonald) und Liebhaber Patrick (Marcus Bluhm) schauen zu.

Foto: Herbert Pfarrhofer

Wien – Schon schön, gemeinsam fährt man über die Jahre gemeinsam in die Berge zum Wandern, ist intellektuell auf Augenhöhe, bekocht sich, trinkt gediegenen Wein und trägt ebensolche Kleidung. Doch dann werden aus den laktoseintoleranten Bobo-Paaren unversehens midlifecrisisgeschüttelte Best Ager. Und, ja, dann trennt sich die Spreu vom Weizen und der testosterongesteuerte Mann von seiner Frau. Und das wiederum kann allerbeste Freundschaften entzweien.

So wie die von Patrick, Laurence, Isabelle und Daniel in Florian Zellers Beziehungskomödie Die Kehrseite der Medaille. Patrick, der coole Hund, hat seiner jungen Liebe Emma wegen seine Frau Laurence verlassen und trägt statt Sakko neuerdings Lederjacke. Und jetzt hat Daniel ein Problem, nicht nur, weil er weiterhin seine konservativen Anzüge und spießigbraunen Samtsakkos trägt. Er hat seinen alten Freund auf der Straße getroffen und ihn, gemeinsam mit seinem jungen Glück, zum Abendessen eingeladen.

Nur, wie soll er das seiner Frau verklickern, die aus Solidarität zu Laurence mit dem Ehebrecher Patrick bitte schön nichts mehr zu tun haben will? Wie gefährlich ist der Besuch der jungen Dame für ihre gepflegt langweilige Ehe? Bringt Emma womöglich Daniel auf dumme Gedanken? Vorsichtshalber wechselt Isabelle die Schuhe von flach und bequem auf High Heels und sexy. Und schließlich: wie verläuft das gemeinsame Mahl mit den zwei ungleichen Pärchen? Gedankenlesen müsste man können. Kann man in dem Fall sogar, genauer gesagt: Man kann die Gedanken hören.

Heiteres Pingpong

Zeller, französischer Shootingstar unter den Dramatikern, der bereits mit 25 Jahren 2004 mit einem der wichtigsten französischen Literaturpreise, dem Prix Inerallié, ausgezeichnet wurde, würfelt für sein Stück gesprochene Dialoge und innere Monologe zusammen. Das ist äußerst witzig. Denn man weiß, welche Wünsche, Ängste, Bosheiten, Eifersüchte den Darstellern durch den Kopf gehen, während sie miteinander wohlerzogene Höflichkeiten und Lächeleien austauschen oder mitunter in Slow Motion verfallen, während ein anderer denkt.

Regisseurin Alexandra Liedtke, sonst eher für psychologische Tiefenbohrungen zuständig, hat eine flockig-leichte, schwungvolle Screwball-Comedy inszeniert; keine Pointe wird verspielt, sondern im Pingpong zwischen Beiseitesprechen und Dialogisieren lustvoll und treffsicher hin und her geschupft.

Ganz wunderbar die vier auf der Bühne, allen voran Michael Dangl als leicht verklemmter Verleger Daniel, dem so mancher Freud'sche Versprecher entschlüpft, sowie die zweifache Nestroy-Preisträgerin Sona MacDonald als zeitlos elegante, ein bisschen zickige, aber durchaus raffinierte Universitätsprofessorin Isabelle. Alma Hasun gibt die unbekümmert (auf)reizende, gar nicht dümmliche Emma, Marcus Bluhm ihren lässigen Sugar Daddy mit dauerstolzgeschwellter Brust. Stimmig sind auch das hyperrealistisch-dezente Mittelschicht-Wohnzimmer-Bühnenbild von Volker Hintermeier, die in jedem Sinn des Wortes die Figuren betonenden Kostüme von Su Bühler und die von Jakob Schell kompilierte Musik.

Die Kehrseite der Medaille ist ein vergnüglicher Abend von hohem Selbst- und Wiedererkennungswert: Selbstkritische Männer erkennen hinter der schönen Fassade sich selbst – und Frauen ihre Männer, wie der begeisterte Applaus bewies. (Andrea Schurian, 16.12.2016)