Flüchtlinge kämpfen einige Kilometer vor der libyschen Küste um ihr Leben.

Foto: APA/AFP/ARIS MESSINIS

Wien – Die gute Nachricht: Mit aktuell 347.851 Flüchtlingsankünften in Italien und Griechenland ist man weit entfernt von der Zahl des Vorjahres. 2015 gelangten nämlich 1.010.565 über die zentrale und östliche Mittelmeerroute nach Europa. Ausschlaggebend dafür war ein starker Rückgang auf der östlichen Mittelmeerroute (siehe Grafik), hervorgerufen durch das Schließen der Balkanroute und den Abschluss des EU-Türkei-Deals im März, während es in Italien im Vergleich dazu nur zu einem geringen Anstieg der Ankünfte kam.

Foto: der standard

Die schlechte Nachricht: Die Zahl jener, die dabei ums Leben kamen, ist von 3771 auf heuer bislang 4742 gestiegen. "Die tödlichsten Routen sind jene von Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten nach Europa", sagt Babar Baloch vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zum STANDARD.

Dies hat nicht nur damit zu tun, dass diese Seewege weit länger sind als jene von der Türkei nach Griechenland. Für Ruben Neugebauer von der NGO Sea Watch, die schiffbrüchige Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet, spielt auch die EU-Militärmission Sophia eine wesentliche Rolle. Damit will die Union auf der zentralen Mittelmeerroute aktive Schlepper bekämpfen, deshalb aber, so Neugebauer, weichen diese auf neue Routen aus, auf denen "keiner da ist, um zu helfen" – etwa über Tobruk im Nordosten Libyens, über Ägypten oder auch über Kreta. "Schließt man eine Route, öffnet sich automatisch eine andere, und die ist meist gefährlicher", sagt Flavio Di Giacomo von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Kaum Umsiedlungen

IOM und UNHCR fordern daher schon länger legale Fluchtwege nach Europa, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Außerdem solle die EU ihre Versprechen einhalten, womit Baloch die beschlossene, aber bislang kaum umgesetzte Umsiedlung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten anspricht: "Griechenland steht unter Druck, Italien steht unter Druck, aber es ist nicht ihr Problem allein." Doch dass die Flüchtlingsverteilung in der EU nicht durchsetzbar ist, ist schon länger bekannt. Der Widerstand vor allem von den Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn ist einfach zu groß.

Also müssen andere Lösungsansätze her, etwa eine von Experten schon länger vorgeschlagene engere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern. In diese Richtung geht die Anfang der Woche zwischen der EU und Mali fixierte Migrationspartnerschaft. Das westafrikanische Land soll im Rahmen dieser Kooperation unter anderem seine nach Europa gelangten Staatsbürger zurücknehmen und verstärkt gegen Schlepper vorgehen.

Sorgenkind Libyen

Über Mali und dessen Nachbarland Niger, mit dem ebenfalls ein Abkommen angestrebt wird, führt eine der innerafrikanischen Hauptflüchtlingsrouten. Zwischenziel ist dann Libyen, das nach dem Sturz von Muammar Gaddafi zum Haupttor nach Europa mutiert ist. Das Land gilt als größtes Sorgenkind, denn die Einheitsregierung ist weit davon entfernt, das Land und somit auch die Küstengebiete zu kontrollieren, von wo die meisten Flüchtlingsboote ablegen. Ein Deal mit Libyen ähnlich jenem mit der Türkei, den sich die EU herbeisehnt, ist so nicht möglich.

Abgesehen davon stellt sich auch die Frage nach der tatsächlichen Umsetzung solcher Abkommen. "Das Migrationsthema ist in Afrika extrem politisiert", sagt der österreichische Politologe Florian Trauner. "Viele Familien leben von dem Geld, das die Verwandten in Europa nach Hause schicken. Kooperieren die Regierungen nun mit der EU in Sachen Rückführungen, wird das oft als Verrat an der eigenen Bevölkerung gesehen." (Kim Son Hoang, 16.12.2016)